Die Europäische Menschenrechtskonvention enthält unter anderem das Recht auf Religionsfreiheit. Ein Diskriminierungsverbot aufgrund der sexuellen Orientierung ist hingegen nicht explizit festgehalten.

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Wo fängt die Freiheit des/der Anderen an - wo hört die eigene auf? Auf diese viel diskutierte Frage hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) am Dienstag eine Antwort gegeben, und zwar vor dem Hintergrund von Religionsfreiheit einerseits und dem Gleichheitsgrundsatz andererseits.

Konkret untersuchte das Gericht in Straßburg vier Fälle aus Großbritannien, bei denen christliche ArbeitnehmerInnen vorbrachten, aufgrund ihrer religiösen Überzeugung im Job diskriminiert worden zu sein. In zweien davon argumentierten die KlägerInnen, dass es ihnen ihr Glaube erlaube, lesbischen und schwulen Paaren Dienstleistungen zu verweigern. Beide Klagen wurden nun vom EGMR abgewiesen.

Ja zu Partnerschaft - aber nicht für alle

Fall eins: Lillian Ladele, Standesbeamtin im Norden Londons. In Großbritannien ist es für lesbische und schwule Paare seit 2005 möglich, sich in einer Eingetragenen Partnerschaft ("civil partnership") registrieren zu lassen - doch Ladele weigerte sich, gleichgeschlechtliche Paare zu trauen und wurde entlassen.

Ladele behauptete, ihr Arbeitgeber hätte sie gezwungen, sich zwischen ihrem Glauben und ihrem Job zu entscheiden - ihre Kündigung sei Diskriminierung. Der EGMR sah das jedoch anders: Jene britischen Gerichte, die ihre Entlassung für rechtmäßig erklärt hatten, hätten das richtige Gleichgewicht zwischen ihrem Recht auf Religionsfreiheit und dem Recht gleichgeschlechtlicher Paare auf Nichtdiskriminierung gefunden. Es gebe keinen Anspruch darauf, während der Arbeit ohne Einschränkungen seinen religiösen Überzeugungen folgen zu dürfen.

Fall zwei: Gary McFarlane, Sexualtherapeut in einer Paarberatungsstelle in Bristol. Er wurde gekündigt, weil er gleichgeschlechtlichen Paaren keine Beratung anbieten wollte - dies, so McFarlane, sei mit seinem Glauben nicht vereinbar. Dafür erhielt er prominente Unterstützung durch den ehemaligen und für seine homophoben Aussagen bekannten Erzbischof von Canterbury, George Carey, der unter anderem mit Aussagen über die "Christenverfolgung" auf der britischen Insel für Kontroversen sorgte. Auch bei McFarlane urteilte der EGMR, dass dessen Recht auf Glaubensfreiheit nicht verletzt worden war. 

Selektive Freiheit

Das Problem ist nicht neu: Unter dem Label "Religionsfreiheit" fordern christliche FundamentalistInnen für sich etwas ein, was sie bestimmten anderen Gruppen jedoch nicht zugestehen wollen. Umso positiver nehmen LGBT-AktivistInnen (LGBT: "Lesbian, Gay, Bisexual & Transgender") das Urteil aus Straßburg auf: Als "wegweisend" bewertet die interfraktionelle Arbeitsgruppe des EU-Parlaments für LGBT-Fragen den Entscheid des EGMR. Michael Cashman, EU-Parlamentsabgeordneter und Kopräsident der interfraktionellen Arbeitsgruppe, erklärte: "Glaube und Religion sind sehr persönliche, private Angelegenheiten und sollten niemals zur Beschneidung von Rechten anderer herangezogen werden."

Das Urteil ist nicht final - innerhalb drei Monaten kann dagegen Berufung eingelegt werden. (Reuters/red, dieStandard.at, 15.1.2013)