Wien/Brüssel - Ernst Strasser ist am Montag wegen Bestechlichkeit (§304 StGB) zu vier Jahren unbedingter Haft verurteilt worden. Die Anwendung einer elektronischen Fußfessel ist damit angesichts des hohen Strafmaßes ebenso ausgeschlossen wie eine teilbedingte Haftstrafe. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.

BAK-Beamter befragt

Ein zum Auftakt des Prozesstages befragter BKA-Beamter berichtete, dass Strassers Lebensgefährtin Elisabeth K. im Februar 2011 befürchtete, von einem Geheimdienst überwacht zu werden. "Sie hat das Gefühl gehabt, dass möglicherweise in ihre Wohnung eingedrungen worden ist", sagte der Polizist. Sie sei davon ausgegangen, dass das in Zusammenhang mit der politischen Tätigkeit ihres Mannes zusammenhängen könnte.

Der Polizist gab an, die Befürchtungen ernst genommen und versucht zu haben, einen Kontakt mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) herzustellen. Dazu sei es aber nicht mehr gekommen, weil Strassers Lebensgefährtin zuerst mit dem Ex-Innenminister darüber sprechen wollte, sagte der Beamte in seiner kaum zehn Minuten dauernden Befragung durch den Richter. Beweisantrag abgewiesen, Agenten erschienen 

Antrag auf Vertagung abgewiesen

Der Antrag von Verteidiger Thomas Kralik auf Vertagung der Hauptverhandlung ist erwartungsgemäß abgewiesen worden. Dem Anwalt sei im Vorfeld hinreichend Zeit zur Verfügung gestanden, sich mit den an sich bereits im Akt befindlichen Protokollen der aufgezeichneten Strasser-Telefonate auseinanderzusetzen, gab Richter Georg Olschak sinngemäß zur verstehen.

Während die Befragung der beiden britischen Aufdeckungs-Journalisten begann, denen Strasser in die Falle gegangen war, sorgten vor dem Großen Schwurgerichtssaal Aktivisten für einen medienwirksamen Auftritt. Die "Freunde des Wohlstands", wie sich die Spaß-Truppe nannte, präsentierte drei Geheimagenten, die dank dicken Sonnenbrillen, Trenchcoat und Schlapphut als solche ausgewiesen waren.

"Wir haben die Falle, die Ernst Strasser gestellt hat, eins zu eins nachgebaut. Dabei sind uns diese Agenten ins Netz gegangen", gab ein Vertreter der Gruppe bekannt. "Lasst ihn frei! Das ist unser Ernst" forderten die Aktivisten auf Handouts.

Gericht fehlt Video des ersten Treffens

Dem Gericht fehlt offenbar ein Video, auf dem das erste Treffen zwischen Strasser  und der verdeckt ermittelnden britischen Journalistin Claire Newell mitgeschnitten wurde. Das wurde am Montag bei der Zeugenbefragung Newell klar, die sich Strasser gegenüber als Lobbyistin ausgegeben hatte. Strasser-Verteidiger Thomas Kralik beantragte daher die Herbeischaffung der entsprechenden Beweismittel.

Auf Bitten der britischen Journalisten wurde die Befragung via Videokonferenz so gestaltet, dass nur das Gericht ihre Gesichter sehen konnte. Das Publikum im Großen Schwurgerichtssaal konnte zwar den Ton mithören, bekam vom Bildschirm aber nur die Rückseite zu sehen.

Fragezeichen bezüglich Strassers Tätigkeiten

Gleich am Beginn der Befragung Newells durch Richter Georg Olschak wurde klar, dass dem Gericht der Mitschnitt des ersten Treffens der Journalisten mit Strasser nicht übermittelt wurde. Die Journalistin gab nämlich an, auch das erste Treffen am 30. Juni 2010 in Strassers Büro verdeckt mitgefilmt zu haben. Ihren Angaben zufolge wurde das Video auch ans EU-Parlament übermittelt, fand aber offenbar nicht den Weg nach Wien.

Newell versicherte, dass die Videos nicht verändert worden seien: "Diese Aufnahmen wurden nicht bearbeitet oder geschnitten." Allenfalls habe man Gesichter unkenntlich gemacht. Ob die Originalaufnahmen der fehlenden Videos noch vorhanden sind, konnte Newell, die mittlerweile nicht mehr für die "Sunday Times" arbeitet, nicht sagen.

Ausgewählt wurde Strasser für die verdeckte Recherche laut Newell, weil Fragezeichen bezüglich seiner beruflichen Tätigkeit bestanden hätten und ihnen berichtet worden sei, der damals neue VP-Abgeordnete sei bereit, kommerziellen Klienten zu helfen. Strasser sei schon beim ersten Treffen an einer Zusammenarbeit interessiert gewesen. Über die Beeinflussung der EU-Gesetzgebung habe man aber erst später in London gesprochen. Dieses Treffen fand übrigens in eigens dafür angemieteten Büroräumlichkeiten statt, wobei auch andere Journalisten der "Sunday Times" vor Ort waren, um den Eindruck zu erwecken, dass das Büro der angeblichen Lobbyingagentur Bergman & Lynch tatsächlich belebt war.

Klar gestellt wurde von Newell, dass man nie vorgehabt habe, Strasser das besprochene Honorar von 100.000 Euro jährlich zu bezahlen. Das war ihren Angaben zufolge auch ein Grund für die nicht erfolgte Vertragsunterzeichnung mit Strasser: "Er wollte noch mit seinem Anwalt sprechen und hatte Änderungswünsche und wir wollten den Vertrag nicht abschließen, damit wir nicht in eine Zahlungsverpflichtung kommen."

Staatsanwältin fordert Schuldspruch

Oberstaatsanwältin Alexandra Maruna hat in ihrem Schlussplädoyer einen Schuldspruch für Strasser wegen "Bestechlichkeit" (§304 StGB) gefordert. Als Erschwernisgrund wertete Maruna, dass Strasser sein Mandat missbraucht habe um sich zu bereichern: "Das rüttelt an den Grundfesten der Demokratie." Strassers Verteidigungslinie (Stichwort: Geheimdienstverdacht) schenkte sie keinen Glauben: "Strasser wollte Geschäfte mit Bergman & Lynch machen, nicht deren wahre Identität aufdecken."

"Ich überlasse ihnen zu beurteilen, ob sie diese Geschichte glauben oder nicht", sagte Maruna in Richtung Schöffensenat. Jedenfalls habe sich Strasser den verdeckt ermittelnden Journalisten gegenüber "80 Prozent der Zeit so verhalten, dass sie gar keine Gelegenheit gehabt hätten, etwas über sich preiszugeben". Außerdem habe Strasser den Journalisten keinesfalls "Lügengeschichten" aufgetischt, sondern etwa seine Fähigkeiten als Berater angepriesen: "Was man da sieht ist ein Unternehmer, der versucht, einen Auftrag an Land zu ziehen."

Dass letztlich kein Geld geflossen ist, ist aus Marunas Sicht nicht ausschlaggebend für eine Verurteilung wegen "Bestechlichkeit": Klar ist für sie auch, dass das Verhalten Strassers sehr wohl ein "pflichtwidriges Amtsgeschäft" im Sinne des Tatbestandes sei. Denn Strasser habe versucht, den Gesetzgebungsprozess zugunsten seiner vorgeblichen Kunden zu beeinflussen und seine einzige Motivation dafür sei das geforderte Honorar gewesen.

Verteidiger Kralik: "Er hat sein Mandat nicht verkauft"

"Er hat sein Mandat nicht verkauft", hielt Verteidiger Thomas Kralik den Ausführungen der Anklägerin entgegen. "Die Optik ist keine sehr schöne", räumte der Anwalt ein, "aber wir haben im Strafverfahren nur zu beurteilen, ob ein strafbares Verhalten gesetzt wurde". Ein solches liege im gegenständlichen Fall eben nicht vor: "Doktor Strasser hat nichts Unrechtes getan. Daher beantrage ich einen Freispruch."

Während Strasser auf ein Schlusswort verzichtete, zeigte sich Kralik einmal mehr überzeugt, sein Mandant habe die vermeintlichen Lobbyisten von Anfang an als Schwindler durchschaut und erkannt, dass ihre angebliche Agentur Bergman & Lynch in Wahrheit gar nicht existiert. Hätte sich Strasser dessen ungeachtet und wie ihm vor der Anklage vorgeworfen auf einen Bestechungsversuch eingelassen, "dann gehört er nichts in Gefängnis, sondern in die Psychiatrie"

Schöffensenat sieht Bestechlichkeit "ganz eindeutig erfüllt"

Für den Schöffensenat war der Tatbestand der Bestechlichkeit "ganz eindeutig erfüllt". Es stehe "ohne Zweifel fest", dass Ernst Strasser bei den Gesprächen mit den als Lobbyisten getarnten Enthüllungsjournalisten Claire Newell und Jonathan Calvert vom 11. November und 3. Dezember 2010 "eine monetäre Leistung von 100.000 Euro Jahresgage für die Einflussnahme auf die Gesetzgebung im EU-Parlament" gefordert habe, stellte Richter Georg Olschak in der ausführlichen Urteilsbegründung fest, der Strasser mit versteinerter Miene folgte.

Strassers Behauptung, er habe die Journalisten für Geheimdienst-Agenten gehalten und sie bzw. ihre Hintermänner aufdecken wollen, zählte Olschak "wohl zum Abenteuerlichsten, was mir in meiner 20-jährigen Erfahrung untergekommen ist". Und weiter: "Sie werden in Österreich kein Gericht finden, das dieser Verantwortung glauben wird."

Vielmehr habe Strasser die Journalisten "tatsächlich für Angestellte einer Lobbyingfirma gehalten" und in seiner Funktion als Abgeordneter des Europäischen Parlaments "cash for law" betrieben, führte Olschak aus. (APA, 14.1.2012)