Die Quantenmechanik macht es möglich: Atome können dazu verwendet werden, um Zeit zu messen - und umgekehrt. Das könnte einmal das Urkilo ersetzen.

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Noch ist das Urkilo trotz Zunahme das Maß aller Dinge.

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Washington/Wien - Das Maß aller Dinge - zumindest in Massefragen - steht im Internationalen Büro für Maße und Gewichte in Paris. Es ist ein Zylinder, der je 39 Millimeter hoch und breit ist und zu 90 Prozent aus Platin und zu zehn Prozent aus Iridium besteht. Dieses kleine Metallobjekt, das unter zwei Glasglocken steht, ist genau ein Kilogramm schwer und die Referenz für das Messen von Masse.

Im Prinzip wäre es egal, wie viel dieses Urkilo genau wiegt, solange alle nach dem exakt gleichen Standard arbeiten. Doch genau das macht seit vielen Jahren gewisse Schwierigkeiten.

Für den praktischen Gebrauch wurden vor 29 Jahren 40 offizielle Kopien des Urkilos hergestellt, die in verschiedenen Ländern das exakte Wiegen garantieren. Diese insgesamt 41 Kilos legen aber seit ihrer Anfertigung ganz leicht an Masse zu: Verunreinigungen haben sich im Laufe der Zeit auf der Platin-Iridium-Oberfläche angesammelt, was dazu führte, dass sich die Urkilos im Mikrogrammbereich unterscheiden.

Sonnenbad für das Urkilo

Diesen Ungleichgewichten wollen Peter Cumpson und Naoko Sano von der Newcastle University Abhilfe schaffen. Wie sie in der aktuellen Ausgabe des Fachblatts "Metrologia" berichten, bestrahlten sie Platin-Iridium-Oberflächen, die ähnliche Ablagerungen aufwiesen wie die Kilogrammprototypen, mit einer Mischung aus ultravioletter Strahlung und Ozon und verpassten ihnen damit im Prinzip ein Sonnenbad. Das Experiment gelang, und die Beläge ließen sich durch diese Behandlung leicht entfernen.

Trotz dieser Maßnahme bleibt ein grundsätzliches Problem: Die Masse ist die einzige der sieben Basiseinheiten, die ein physisches Ding als Referenz hat. Alle anderen Einheiten, darunter das Meter, die Lichtstärke oder die Sekunde, beruhen dagegen auf Naturkonstanten wie der Lichtgeschwindigkeit oder einem Zustandsübergang bestimmter Atome.

Aus diesem Grund gibt es seit Jahren eine intensive Diskussion darüber, auch das Urkilo durch eine präzisere physikalische Bezugsgröße zu ersetzen. Der neueste Vorschlag kommt von einem Forscherteam um Holger Müller von der Universität Berkeley. In der neuen Ausgabe von "Science" stellen sie eine neue Atomuhr vor, die zugleich als Ultrapräzisionswaage für Atome dienen kann.

Für ihre neuartige Entwicklung nutzten Müller und seine Kollegen eines der wunderlichen Phänomene der Quantenphysik: Da sich Teilchen auch als Materiewellen betrachten lassen, hängt die charakteristische Frequenz dieser Wellen - in der Fachsprache Compton-Effekt genannt - von der Masse des jeweiligen Teilchens ab.

Während herkömmliche Atomuhren auf der Frequenz von Strahlungsübergängen von Elektronen beruhen, nutzen die Physiker für ihre neue Uhr Materiewellen von Cäsium-Atomen. Ihre neue Atomuhr geht immerhin auf sieben Milliardstel genau (also einer Sekunde in acht Jahren), kann mit heutigen Atomuhren aber (noch) nicht konkurrieren: Die sind um bis zu 100 Millionen Mal genauer.

Takt bestimmt Atommasse

Die eigentliche Pointe an der neuen Uhr ist aber, dass sie sich auch andersherum einsetzen lässt. Wenn die Forscher den Takt ihrer Uhr kennen, dann kennen sie auch die exakte Masse des Teilchens. Und sobald die bekannt ist, können die Massen von anderen darauf bezogen werden. Das wieder könnte den Weg zu einer neuen Kilogramm-Definition ebnen. (Klaus Taschwer, DER STANDARD, 11.01.2013)