Zuletzt war an dieser Stelle von Harvard-Empfehlungen für Medienmacher die Rede. Die erste lautet: Immer zuerst die Nutzer und ihre Bedürfnisse berücksichtigen - und die "Jobs" definieren, die Medien dabei übernehmen können. Einige dieser Jobs-to-be-done, subjektiv empfunden, aber vermutlich vielfach geteilt, werde ich hier in loser Folge beschreiben.

Es beginnt in der Früh

Werde ich um 6.40 Uhr vom Radio aus dem Schlaf geholt, erwache ich in ein mediales Loch: Das "Frühjournal" vorbei, für das "Morgenjournal" keine Zeit mehr. Also rübergreifen, iPhone nehmen, Display antippen. So halten es viele Nutzer: Studien zeigen einen Peak im Nachrichtenkonsum zwischen 7 und 10 Uhr - je früher, desto mobiler. Das ist in den USA so - siehe zum Beispiel Daten aus dem Bericht "State of the News Media 2012" des Pew Center (einer generell empfehlenswerten Quelle). Das ist in Österreich so, das ist auf derStandard.at und vielen anderen Medien so.

Aber: Das Bedürfnis nach frischen News, nach dem international Aktuellsten, der kompakten Orientierung, dem Wichtigsten von gestern und dem Briefing über das zu Erwartende - oder dem gestern Abend noch nicht verfügbaren klugen Kommentar - wird um 6.40 Uhr zuweilen nicht erfüllt. Nein, ich finde auf meinen Nachrichtenportalen das Gleiche wie beim letzten Blick am Abend zuvor.


Nachrichten am Abend (links) und in der Früh (rechts) auf news.orf.at,


derStandard.at,


diepresse.com,


krone.at und


wiener-zeitung.at.

Also bin ich auch schon woanders, in den Mails, auf Facebook oder Twitter. Dort gibt es zwar keine Orientierung, keine Gewichtung, aber zumindest hat sich viel getan. Die Folge: Ich konsumiere durch "Freunde" individualisierte, aber beliebige Nachrichtenfragmente - so wie die Medienkulturpessimisten es befürchten. Viel zu lesen gibt es dazu zum Beispiel von Kurt Imhof.

Immerhin, manche wollen mich am Morgen abholen. Die "Welt" postet auf Facebook "Was heute passiert", die "Salzburger Nachrichten" jetzt regelmäßig den Morgenpost "Die SN am ---tag". "Spiegel Online" macht eine Tagesvorschau ("Was ---tag wichtig wird").

Schweizer 24/7-Experiment in Hongkong

Klar, echte 24/7-Nachrichten sind schwer zu leisten. Und lohnen Frühdienste, die um spätestens 5 Uhr starten müssen, wie es etwa hier beim Online-STANDARD geschieht? Über ein interessantes Experiment erzählte mir vor einigen Monaten in einem Webinar Hansi Voigt, Ex-Chefredakteur von "20 Minuten Online", Schweizer "Chefredaktor des Jahres 2012" und auf Twitter gerade als "Popstar der Medienzukunft" gefeiert: Für seine (Ex-)Redaktion wurde eine Wohnung mit Büro in Hongkong angeschafft. Von dort berichteten Journalisten im Sechs-Wochen-Radl jeweils über das aktuelle Weltgeschehen - zeitgerecht fertig für den mitteleuropäischen Frühstückskonsum. Für Journalisten und Journalistinnen bedeutet das statt zermürbender Nachtdienste motivationssteigernde Hongkong-Erfahrung. Für Userinnen und User eine knusprige, frische Morgenseite. Jedenfalls aber steht dahinter der Gedanke, die Nutzerbedürfnisse im Tagesverlauf besonders zu berücksichtigen. "Online ist mehr als Print, aber was? (...) Als Chefredaktor eines Online-Portals machst du jedenfalls ein Programm, keine Ausgabe", sagt Voigt.

Kompakte Information zum early morning tea

A Job-to-be-done: Die Berücksichtigung tageszeitabhängigen Nachrichtenkonsums auf mobilen Geräten. Es ist viel (und viel Absurdes) von den Gefahren des Smartphones als Bettgenosse zu lesen, von Schlafstörung über Abhängigkeit bis hin zur Beziehungsunfähigkeit. Damit sich das auch lohnt: zum early morning tea fünf bis zehn Minuten kompakte Information. Über das, was ich über den und am heutigen Tag unbedingt wissen muss, um auch schon beim ersten Termin informiert zu sein; über das, was mich wirklich interessiert; apart angerichtet, anders als gestern. So, dass es besser ist, Nachrichten zu lesen, als doch lieber zehn Minuten länger zu träumen. (Daniela Kraus, derStandard.at, 8.1.2013)