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Norbert Darabos nimmt Maß.

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Die Edelweiß-Baracke im Südlibanon.

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Norbert Darabos nimmt Maß. Ein kurzer Stoß, die Kugel verschwindet im Loch. Es war nicht die schwarze. Der Verteidigungsminister lächelt trotzdem. Dieses Spiel gewinnt er.

Die Stimmung in der Edelweiß-Baracke ist gut. Draußen peitscht das aufgewühlte Mittelmeer an den Strand. Drinnen rollen die Puntigamer-Wellen. Der Minister ist auf Weihnachtsbesuch bei den österreichischen Blauhelmen im Südlibanon. Speck und Schwarzbrot sind übergeben, auch das Versprechen, den Billardtisch neu überziehen zu lassen. Ein Routine-Termin - und doch nützlich, wenn es darum geht, daheim etwas Werbung für ein "Profi-Heer" zu machen. Dieses Schlagwort benutzen nun auch die Briefschreiber Michael Häupl und Werner Faymann.

Die österreichischen Soldaten im Libanon allerdings sind nicht so leicht zu überzeugen. Eine große Mehrheit lehnt die Pläne ihres Ministers im Vertrauen gesprochen ab oder ist zumindest äußerst skeptisch. Aber nicht, weil die Männer gegen das Berufsheer wären, sondern weil viele fürchten, das könnte den endgültigen Exitus für das Militär bedeuten: "Wenn man dann wieder kein Geld in die Hand nimmt, um das ordentlich zu machen, dann können wir zusperren", sagt einer.

Ein Schlaglicht, das viel über die österreichische Außen- und Sicherheitspolitik aussagt. Obwohl die Volksabstimmung über die Wehrpflicht in zwei Wochen ansteht, stellte ein europäischer Spitzendiplomat unlängst ernüchtert Folgendes fest: "Es gab noch nie eine Zeit, in der sich die österreichische Politik weniger für internationale und sicherheitspolitische Fragen interessiert hat." Das hat einen schlichten Grund: Parteitaktik hat Politik ersetzt, der Wahlkampf killt Langfrist-Perspektiven. Und statt inhaltlicher Erwägungen werden Phantom-Debatten geführt.

Dabei gäbe es gute Argumente für beide Systeme - die Wehrpflicht und eine Berufsarmee. Beide könnte man diskutieren, wenn es tatsächlich auch eine vom Parlament beschlossene Sicherheitsdoktrin für die Republik gäbe, gemäß der eine neue Armee nach neuen Bedrohungslagen organisiert werden könnte. Diese Doktrin allerdings steckt seit Monaten im Nationalrat fest und nicht nur die Bürger müssen am 20. Jänner auf völlig unklarer Basis entscheiden, für welches Modell sie denn nun stimmen sollen.

Auch die Generäle kommen mit dem planen, umplanen und Pläne verwerfen kaum nach. Während andere Armeen auf Jahre hinaus vorausdenken, haben österreichische Generalstäbler ihre Strategien je nach Betriebstemperatur der jeweiligen Parteizentralen zu adjustieren. In Finnland, ebenso einem kleinen, neutralen Land, wurde die Armee-Reform einer echt unabhängigen Kommission anvertraut. Das Ergebnis ist beeindruckend sachlich. Österreich dagegen ergeht sich in einem kleinkarierten Krieg ums Heer.

Diese Nicht-Debatte hat vor allem mit einer sentimentalen Neutralitäts-Duselei zu tun, die ambitionierte außen- und sicherheitspolitische Diskussionen wegen Feigheit vor dem Freund schlichtweg unterbindet. Niemand erklärt den Bürgern, dass ein Heer zum Kriege führen und nicht zum Schnee schaufeln da ist. Niemand erklärt den Bürgern, dass die Neutralität sich im Rahmen einer Gemeinsamen europäischen Außen- und Verteidigungspolitik (die nur nebenbei zu einem guten Teil Nato-Politik ist) relativiert hat. Und niemand erklärt den Bürgern, dass diplomatische Erfolge immer auch militärisches Unterfutter brauchen.

Ein kleines Land wie Österreich, das von seinen Exporten in eine globalisierte Welt lebt und das seinen Beitrag in der EU leisten muss, kann sich keine Verinnenpolitisierung der Außen- und Sicherheitspolitik leisten. Neben den international sehr erfolgreichen Wirtschaftstreibenden müssen die Politiker aller Couleur zumindest ein wenig mehr Weltläufigkeit zeigen. Ihr Horizont muss über den Äquator zwischen Bregenz und Kittsee hinaus reichen, weil auch die Herausforderungen vor dieser Linie nicht Halt machen.

Viele Blauhelme im Feld zu haben ist gut, keine Frage. Aber es bedarf auch national koordinierter politischer Strategien für Afrika oder den Nahen Osten, um nur zwei Beispiele zu nennen. Denn auch dort wird über das Wohlergehen Österreichs entschieden und dort muss Wien (mit Brüssel) politisch und im Notfall auch militärisch interventionsfähig sein. Will es das nicht selbst leisten oder zukaufen (zum Beispiel bei der Nato), dann wird Österreich noch irrelevanter werden, als es bereits jetzt entgegen aller politischer Autosuggestion ist.

Ein hoher Militär hat die Situation schon vor einiger Zeit so zusammengefasst: "Unsere Ambition ist bestenfalls das Mittelmaß. Wir schwimmen wie ein Stoppel auf dem Wasser und lassen uns von den Wellen hin und her treiben. Eine politische Strategie sieht anders aus." Dem ist nichts hinzuzufügen. Ändert sich das nicht, setzen alle Beteiligten beim Wehrpflicht-Match auch die Zukunft der Republik aufs Spiel - gleichgültig, wer den Ball am 20. Jänner nun ins Loch bugsiert. (Christoph Prantner, derStandard.at, 6.1.2013)