Eigentlich kann per definitionem nichts kälter sein als der absolute Nullpunkt der Kelvin-Skala. In Celsius sind das minus 273,15 Grad. Physikern der Ludwig-Maximilians-Universität München und des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching gelang es nun allerdings in einem Experiment, ein atomares Gas zu erzeugen, das trotzdem negative Kelvin-Werte annehmen kann, wie sie in der Wissenschaftszeitschrift "Science" berichten.

Was den Physikern gelungen ist, lässt sich anhand von Wassermolekülen veranschaulichen: Wer Wasser zum Kochen bringen will, muss ihm Energie zuführen. Während des Erhitzens bewegen sich die Wassermoleküle im Durchschnitt immer schneller und erhöhen ihre Bewegungsenergie. Dabei haben die einzelnen Moleküle sehr unterschiedliche Energie - von ganz langsam bis sehr schnell. Zustände niedriger Energie sind dabei wahrscheinlicher als solche mit hoher Energie - nur wenige Teilchen bewegen sich also sehr schnell. Diese Verteilung wird in der Physik Boltzmann-Verteilung genannt.

Umgekehrte Boltzmann-Verteilung

Physiker um Ulrich Schneider und Immanuel Bloch haben nun ein Gas realisiert, in dem diese Verteilung genau umgedreht ist: Viele Teilchen weisen eine hohe Energie auf und nur wenige eine niedrige. Diese Umkehrung der Verteilung der Energie bedeutet nun gerade, dass die Teilchen eine negative Temperatur angenommen haben. "Die umgekehrte Boltzmann-Verteilung ist genau das, was eine negative absolute Temperatur ausmacht, und die haben wir erreicht", sagt Ulrich Schneider.

Das Gas sei dabei aber nicht kälter als null Kelvin, sondern heißer, wie der Physiker erklärt: "Es ist sogar heißer als bei jeder beliebigen positiven Temperatur - die Temperaturskala hört bei unendlich einfach noch nicht auf, sondern springt zu negativen Werten."

In Wasser und jedem anderen natürlichen System lässt sich diese Umkehrung nicht erreichen, da das System dazu unendlich viel Energie aufnehmen müsste, was unmöglich ist. Besitzen die Teilchen nun jedoch eine obere Grenze für ihre Energie, wie zum Beispiel die Spitze eines Hügels in der Landschaft der potenziellen Energie, ändert sich die Situation völlig. Genau ein solches System mit einer oberen Energiegrenze haben die Forscher um Immanuel Bloch und Ulrich Schneider nun im Labor für ein Gas von Atomen verwirklicht.

Erstaunliche Konsequenzen

Materie bei negativer absoluter Temperatur hat eine ganze Reihe von verblüffenden Konsequenzen: Mit ihrer Hilfe könnte man Wärmekraftmaschinen wie zum Beispiel Motoren bauen, deren Effizienz über 100 Prozent beträgt. Das heißt jedoch nicht, dass der Energieerhaltungssatz verletzt wird. Vielmehr könnte die Maschine im Unterschied zum üblichen Fall nicht nur Energie aus einem heißen Medium ziehen und damit Arbeit verrichten, sondern auch aus dem kalten.

Die Arbeit der Münchner Physiker könnte zudem für die Kosmologie interessant sein. Denn die negative Temperatur weist in ihrem thermodynamischen Verhalten Parallelen zur sogenannten Dunklen Energie auf. Diese postulieren Kosmologen als jene rätselhafte Kraft, die den Kosmos dazu bringt, sich immer schneller auszudehnen, obwohl er sich aufgrund der anziehenden Gravitation der Materie im Universum eigentlich kontrahieren sollte.

Ausbleibender Kollaps

In der Atomwolke des Münchner Labors gibt es ein ähnliches Phänomen: Das Experiment beruht unter anderem darauf, dass sich die Atome des Gases nicht abstoßen, wie in einem gewöhnlichen Gas, sondern anziehen. Das heißt, sie üben einen negativen und keinen positiven Druck aus; die Atomwolke will sich also zusammenziehen und sollte eigentlich kollabieren - genauso wie man das vom Universum unter dem Einfluss der Schwerkraft erwarten würde. Doch wegen ihrer negativen Temperatur tut sie dies gerade nicht. Sie bleibt ebenso vor dem Kollaps bewahrt wie das Universum. (Klaus Taschwer, derStandard.at, 4. 1. 2013)