Publizist Gabriele De Luca

Foto: gabriele-di-luca

STANDARD: Wie sollte nach Ihrer Vorstellung Südtirols neue Ära nach jener von Durnwalder aussehen?

Di Luca: Sie sollte sich so gestalten, dass keine herausragende Persönlichkeit das Sagen hat. Weniger hierarchisch und patriarchalisch, mehr Mitbestimmung und Demokratieverständnis.

STANDARD: Sehnen sich Südtirols Italiener nach einer ethnischen Sammelpartei à la SVP?

Di Luca: Das glaube ich kaum. Sie hätten dafür in den letzten Jahrzehnten genug Zeit gehabt. Das haben sie nicht einmal unter Berlusconi geschafft, dessen Partei in Südtirol heillos zerstritten war. Die italienischen Parteien sind hier nur Ableger ihrer römischen Zentralen, blasse Fotokopien ohne eigene Gestaltungsfähigkeit, aber genauso zersplittert.

STANDARD: Wie empfinden Sie das oft gepriesene Zusammenleben der Sprachgruppen?

Di Luca: Als Nebeneinander ohne Böswilligkeit. Jede Gruppe lebt ein bisschen für sich, da ist viel Bequemlichkeit im Spiel. Es ist bequemer, unter sich zu sein. Die wenigsten lesen Bücher in der anderen Sprache, obwohl sie dazu durchaus in der Lage wären. Gleichsprachige Gruppen durchmischen sich ohne große Konflikte, alles scheint einfacher, es braucht keine Anstrengung.

STANDARD: In Ihrem Blog "Sentieri interrotti - Holzwege" spielt die " Kunst des Zusammenlebens" eine wichtige Rolle. Worin besteht denn diese Kunst?

Di Luca: Es ist schwierig, einer anderen Kultur zu begegnen. Man darf nicht resignieren und auch nicht versuchen, die Grenzen zu verwischen oder die andere zu annektieren - sei es auch aus Zuneigung. Abstrakte Themen wie die Identität sollte man Soziologen überlassen und sich konkreten Problemen des Alltags widmen. Dann verschwinden die Barrieren, und das Zusammenleben wird zunehmend zum Erfolg.

STANDARD: Wie reagieren Sie auf die Parole "Los von Rom"?

De Luca: Ich bin kein Nationalist, daher schreckt mich die Vorstellung einer Abtrennung von Rom nicht. Ich möchte gerne, dass mir jemand glaubhaft erklärt, wie man die juridischen, institutionellen, diplomatischen und sonstigen Probleme löst, die dabei auftreten. Das von Wien und Rom in langen Jahren ausgehandelte und von beiden Staaten mitgetragene Autonomiestatut müsste abgeschafft werden, die heutige Minderheit würde zur Mehrheit.

STANDARD: Nervt Sie das Geplänkel um zweisprachige Hinweisschilder auf Wanderwegen?

Di Luca: Es gibt psychologische Gründe dafür. Die grundsätzlichen Probleme sind gelöst, die Minderheit geschützt, alle leben im Wohlstand. Die Wunden früherer Jahre überleben dann eben in Form symbolischer Konflikte. Die Überbleibsel des echten Konflikts leben in Stammtischdebatten fort, ohne Dramatik, meist periodisch zu gewissen Anlässen.

STANDARD: Herrscht in Südtirol ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den drei Sprachgruppen?

Di Luca: Es herrscht eine gewisse Asymmetrie. Das Autonomiestatut hat das alte Ungleichgewicht korrigiert, aber auch ein neues geschaffen, das der Wohlstand allerdings zu einem marginalen Problem herabmindert. Aber ohne Autonomiestatut wäre es sicher schlechter. (Gerhard Mumelter, DER STANDARD, 4.1.2013)