Die Augenärztin Clara Ferdinaro ...

Foto: DER STANDARD/Christian Fischer

... und die Stationsleiterin Necmiye Öztürk mit Patientinnen. Unter den Spitalsmitarbeitern sind 14 Religionsgemeinschaften vertreten.

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Wien - Necmiye Öztürk scheint überall gleichzeitig zu sein. Sie brieft ihre Mitarbeiterinnen, erklärt einer Patientin, wann ihre Kontrolluntersuchung ist, und nur wenige Augenblicke später saust sie aus einem anderen Zimmer und bringt einer älteren Frau den Gehstock.

Seit März leitet Öztürk die Interne Station für Frauen im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder im zweiten Bezirk, und sie ist die erste Muslimin in dieser Funktion in einem Ordensspital. Die Station, die sie schupft, ist 37 Betten groß, ihr Team besteht aus 23 Pflegerinnen und Pflegern sowie zwei Oberärzten. Öztürk springt aber auch im ganzen Haus ein, um bei türkischsprachigen Patienten zu dolmetschen. "Die Menschen fühlen sich einfach besser, wenn sie ihre Anliegen in ihrer eigenen Sprache erzählen können."

Ramadan am Arbeitsplatz

Dass sie an ihrem Arbeitsplatz den Ramadan weitgehend einhalten kann, ist für Öztürk selbstverständlich. "Nichts zu essen klappt, aber ohne etwas zu trinken hält man den Arbeitstag nicht durch", erzählt die Wienerin, deren Eltern in den 1970er-Jahren nach Österreich gekommen sind.

14 Religionsgemeinschaften unter 800 Angestellten

Im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder sieht man es als Teil des Selbstverständnisses, auf die religiösen Bedürfnisse der Mitarbeiter und Patienten zu achten. Unter den 800 Angestellten sind 14 Religionsgemeinschaften vertreten. "Die Leopoldstadt ist ein multikultureller Bezirk", sagt Reinhard Pichler, der Gesamtleiter des Ordensspitals, "viele orthodoxe Juden, die im Bezirk unsere Nachbarn sind, kommen als Patienten zu uns, ebenso zahlreiche Muslime."

Im Krankenhaus wird deshalb darauf geschaut, dass Muslime in den Zimmern die Möglichkeit haben, sich zum Beten nach Mekka auszurichten. Für jüdische Patienten und Mitarbeiter liefert eine Cateringfirma koscheres Essen ins Krankenhaus.

Leitfaden für Mitarbeiter

Pichler hat einen Leitfaden für die Spitalsmitarbeiter erstellt, in denen die "Dos and Don'ts" zusammengefasst sind und erklärt wird, worauf bei den unterschiedlichen Religionsgemeinschaften beim Aufenthalt im Krankenhaus geachtet werden sollte.

So dürfen orthodoxe Juden am Sabbat weder selbst das Licht einschalten noch elektrische Geräte in Betrieb nehmen. "Die Portiere achten deshalb darauf, dass sie für gebrechliche Patienten den Liftknopf betätigen, damit sie nicht die Stiegen hinaufgehen müssen", erläutert die jüdische Augenärztin Clara Ferdinaro.

Da es am Sabbat auch nicht gestattet ist, die Pfleger mit dem Klingelknopf zu rufen, achtet man bei den Barmherzigen Brüdern darauf, dass die Patienten in einem Zimmer untergebracht werden, das nahe beim Stationsstützpunkt liegt. "Außerdem kann man ja die Tür offen lassen", sagt Ferdinaro.

Sensibler Umgang mit dem Tod

Besonders der Umgang mit dem Tod verlangt ein hohes Maß an Sensibilität. Sowohl im Islam als auch im Judentum sollte die Bestattung so schnell wie möglich erfolgen. "Es heißt, dass die Seele leidet, solange sie nicht endgültig zur Ruhe gekommen ist", erklärt Öztürk. Im Judentum wiederum gilt der Körper als heilig. "Der Tote darf nicht mehr bewegt werden", sagt Ferdinaro, "wenn die Gefahr besteht, dass Blut austreten könnte, darf nicht einmal mehr der Venflon entfernt werden." Bei Unklarheiten ruft die Ärztin einen Rabbiner an, der ein absoluter Experte für diese Fragen ist und ihr "Telefonjoker", wie sie sagt.

Welche Gemeinsamkeiten es trotz aller Unterschiede gibt? "Sowohl jüdische als auch muslimische Patienten haben viele Besucher", sagt Clara Ferdinaro lachend, "und in beiden Fällen kann es dabei sehr laut zugehen." (Bettina Fernsebner-Kokert/DER STANDARD, 3.1.2013)