Goldenes Handwerk unter männlichem Genieverdacht: Aktionist Günter Brus bei der Arbeit, fotografiert 1965 in Otto Muehls Atelier.

Foto: Siegfried Klein

Das Material zur Schau stammt aus der Privatsammlung Julius Hummel.

Schon früh, sagt der Kunsthändler und Galerist Julius Hummel, habe ihn der Wiener Aktionismus, dessen Aufbegehren gegen barocken Katholizismus und Biedersinn, fasziniert - und diese Faszination halte bis heute an. Hummel ist einer der profundesten Aktionismus-Experten und -Sammler und deshalb ein international wichtiger Leih- und Ratgeber. Schon vor sechs Jahren zeigte etwa das Mumok Hummels äußerst facettenreiche und beeindruckende Privatkollektion.

Nun stellt das Dox (Centre for Contemporary Art) in Prag an die 260 Artefakte aus Hummels Aktionismussammlung aus. Wände wurden eingezogen, um jene intimen, ineinander verschachtelten Räume zu schaffen, die die Fotografien, Filme, Originaldokumente, Zeichnungen, Partituren brauchen, um ihre gleichermaßen betörende wie verstörende Wirkung zu entfalten.

Hummel fokussiert auf ein ausstellungsmäßig bisher eher vernachlässigtes Thema: Das Feminine im Aktionismus. Denn nicht nur die vier Aktionisten Günter Brus, Otto Muehl, Hermann Nitsch und Rudolf Schwarzkogler malträtierten ihre Körper, suhlten sich in Dreck, beschütteten sich mit Blut und beschmierten einander mit Kot, sondern in fast allen Performances wirkten Frauen mit, nackt, mit gespreizten Beinen, freigelegter Scham, verschnürt, verschmiert, gefesselt, beschmutzt, penetriert. Sie hatten, zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung, über lange Zeit schlimmstenfalls Opfer-, bestenfalls Helferinnenstatus. Immer aber blieben sie namenlos.

So wie etwa jene Frau, an der Hermann Nitsch im Dezember 1969 seine Version von Maria Empfängnis demonstrierte: Während der Künstler und ein Assistent mit einer Hand ein umgekehrt aufgehängtes und am Bauch aufgeschlitztes Lamm auseinanderzogen, bis der offene Leib einer Vulva ähnelte, stocherten sie mit der anderen Hand in der Scheide der Frau. Auch Otto Muehls Nabelschnur - Darstellung einer Geburt (1964) brauchte weibliche Mitwirkung. Nur zwei Beispiele von - wie die Ausstellung zeigt - vielen.

"Aber das ist doch klassisch für alle Frauen aus allen Jahrhunderten", sagt Anna Brus. Sie wirkte in fast allen Aktionen ihres Mannes Günter Brus mit, aber auch in Performances von Muehl und Schwarzkogler. " Natürlich ist es kränkend, dass man mit Frauen, hauptsächlich mit mir, zusammengearbeitet, aber nie von Zusammenarbeit gesprochen hat. Wir haben damals zwar keine Burka getragen, aber wir waren unter einer Art unsichtbarer Burka versteckt." Immerhin nannte Günter Brus seine erste Aktion 1964 nach seiner mitwirkenden Frau Ana. "Doch die Mitarbeit der anderen Mitaktionistinnen wurde nicht erwähnt."

Nicht nur den zumeist namenlosen Mitaktionistinnen zollt Hummel - späte - Anerkennung. Er schärft den Blick für feminine und androgyne Komponenten des Aktionismus. Immer wieder stellten dessen Proponenten die Geschlechterrollen infrage, hängten sich Büstenhalter um, schlüpften in Strumpfbandhalter, zogen sich Damenstrümpfe über, banden sich Schwangerschaftsbäuche um, hielten Menstruationsbinden vor ihre Penisse, vollzogen symbolische Akte der Selbstentmannung und Kastration. So wie Nitsch, gemeinsam mit Schwarzkogler, im Kastrationsritual 1965; oder Muehl, der seinen zwischen zwei Strumpfbändern baumelnden Penis bemalte; oder Brus, der für seine letzte Aktion Zerreißprobe BH und Strumpfband anlegte.

Hummel ist nicht der eitlen Versuchung erlegen, alles zu zeigen, was er hat. Er hat mit Bedacht ausgewählt und gehängt: den Orgienmysteriker Nitsch; den Materialberserker Muehl; Brus, der seine Performances wie informelle Schwarz-Weiß-Malereien im Raum inszenierte; und der ebenfalls in Farbe und Material reduzierte Schwarzkogler. Ergänzt hat Hummel die Hardcore-Aktionismusdokumente mit Werken etwa von Valie Exort und Arnulf Rainer sowie aktuellen Positionen etwa von Franz Graf oder Elke Krystufek. Schade eigentlich, dass diese Schau anschließend an Prag nicht auch in Wien zu sehen sein wird. Vermutlich. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 3.1.2013)