Der Wunsch nach einer Eindämmung, jedenfalls aber Bekämpfung der Korruption bewegt die Österreicher am stärksten, wenn sie an das neue Jahr denken (sagt eine Umfrage).

Das ist eine bemerkenswerte Stimmungslage in einem Volk, das bekanntlich "kan Richter brauchen" will, wenn es um die persönliche Einrichtung im Leben geht. Tatsächlich spricht daraus aber wohl auch die instinktive Erkenntnis: Was zu viel ist, ist zu viel. Ist in einem Staat oder einer Gesellschaft ein bestimmtes Maß an Korruption auf Dauer überschritten, kommt es meist zu mehr oder weniger gewaltsamen Umwälzungen. Die arabischen Revolutionen haben auch damit zu tun, dass die herrschenden Familien über Jahrzehnte einen so gewaltigen Anteil des Bruttonationalprodukts in die eigene Tasche abgezweigt haben. Selbst in einer derart eisenharten Diktatur wie der chinesischen gibt es laufend Proteste, oft gewalttätige, gegen korrupte lokale Funktionäre. Wir hören nur zu wenig davon.

Österreich dürfte auf der weltweiten Korruptionsskala im unteren Mittelfeld liegen. In Europa sieht es schon anders aus. Da sind wir immer noch ziemlich weit von Systemen wie Griechenland, Zypern oder auch Italien entfernt, aber wir nähern uns an. Eine Ursache ist der immer noch hohe Einfluss der öffentlichen Hand und damit der Parteien auf die Wirtschaft. Wenn Positionen von Parteien besetzt werden, wird eine Gegenleistung erwartet. Und im ganzen öffentlichen bzw. halböffentlichen Bereich - Energieversorger, Landeshypos, Sozialversicherungen, Telekommunikation usw. - gibt es genügend Ansatzpunkte dafür. Der Mythos der Neunziger- und frühen Zweitausenderjahre war es, dass ein Erneuerer - Jörg Haider - mit den roten und schwarzen "Parasiten" (so seine Nazi-Diktion) schon aufräumen werde. Inzwischen steht fest, dass die Haider-FPÖ ganz besonders an die Futtertröge der Macht drängte.

Unbelehrbare glauben heute in gleicher Weise an Strache und/oder Stronach.

Ein Lieblingsargument der Retrolinken ist es, der "Neoliberalismus" sei schuld an der Ausweitung der Korruption. Richtig daran ist, dass die Atmosphäre des "anything goes" besonders im Finanzsektor zu weitverbreiteter Kriminalität führte. Eine Katastrophe wäre es jedoch, deswegen wieder zu Verstaatlichungsmodellen zurückzukehren. Die sowjetischen Funktionärssysteme waren so korrupt wie niemand anderer; Chinas Führungselite besteht aus Milliardären.

Die beste Versicherung gegen ein Ausufern der Korruption ist die Existenz einer starken, selbstbewussten Schicht von Bürgern, die mithelfen, die öffentliche Sphäre zu kontrollieren. Die dürre Faust gegen "die da oben" zu schütteln, die "eh alle Gauner" sind, bringt nichts. Es gibt schon die eine oder andere Reformgruppe (z. B. meineabgeordneten.at), die sich als konstruktive Wachhunde verstehen. Es sollten mehr entstehen. Die etablierte Politik ist müde und von den Interessengruppen, die ihre letzte Bastion bilden, abhängig. Es ist unser Geld, das da gestohlen wird. Wir müssen selbst besser darauf aufpassen. (Hans Rauscher, DER STANDARD, Printausgabe, 2.1.2013)