Olga Flor hat ein beachtliches Buch geschrieben. 

Foto: Standard / Heribert Corn
Cover: Zsolnay

Wien - Königstöchter, heißt es in Olga Flors neuem Roman Die Königin ist tot, "können es sich nicht erlauben, zimperlich zu sein." Und zur Sache ist es in den Büchern der 1968 geborenen Autorin und gelernten Experimentalphysikerin von Anfang an gegangen. Auch in ihrem nun vorliegenden vierten Buch ist Olga Flor, die ihre sprachlich und formal avancierten Romane stets nah an gesellschaftlichen und politischen Realitäten baut, den Themen Ökonomie und Ideologie, Kollektiv und Vereinzelung, Schein und Sein treu geblieben.

"Ich lasse mich immer gerne ficken von einem Krieger" lautet der erste Satz des Romans, dem ein Motto aus Shakespeares Macbeth vorangestellt ist: "It is a tale / told by an idiot, full of sound and fury, Signifying nothing." Wo Krieger sind, ist meist auch ein König. In Flors Roman heißt er - wie bei Shakespeare - Duncan. Von Chicago aus gebietet er über ein weltumspannendes Medienimperium, dessen Aufgabe er in der gewinnbringenden Abwicklung der Demokratiekonkursmasse, in der gefälligen Interpretation (u. a. des "Rating-Spiels") und der Verbreitung von zurechtgebogenen Frohbotschaften sieht.

Nichts wären jene, die sich für die "Herren der Welt" hielten, also die " Finanzleute", ohne seine Medien, meint Duncan: "Ohne uns hätten sie das nie geschafft, wenigstens nicht so schnell, stellte er fest. Mehr Geld bleibe bei den Familien, haben wir gesagt, (...), bei den kleinen Betrieben, den ehrlich arbeitenden Menschen. Er lachte, (...)." Draußen, vor den Toren der Macht, kommt es jedoch immer öfter zu Unruhen.

Erzählt wird der Roman von einer Frau. Sie kam aus Europa und schaffte den nicht unbeträchtlichen Sprung vom "Liftgirl" zur Ehefrau Duncans. Es ist ein Weg nach ganz oben, der Lilly, so nennt sich die Erzählerin, von ihrem Arbeitsplatz in der Lobby eines Hochhauses mit Luxusappartements in dessen oberste, zur Gänze von Duncan bewohnte Etage führt. Zu tun hat der kometenhafte Aufstieg mit einer Liftfahrt - und mit einer oralen Dienstleistung der damals 26-jährigen Erzählerin. Es folgen ein Ehevertrag, zwei Kinder und eine Luxusexistenz samt Personal und Sicherheitsleuten in einem Haus am Meer. Doch man wird nicht jünger, das sieht auch Duncan so, der - wieder per Vertrag - die Erzählerin einem seiner Kronprinzen, Alexander, überantwortet, um für eine jüngere frei zu sein.

Als Mitgift bekommt die nunmehrige Ex-Königin neben neuem Ehemann besagte Luxuswohnung im 68. Stock gleich dazu. Das Ganze erweist sich für Duncan als keine allzu gute Idee, denn schnell zeigt sich, dass sich die Erzählerin mit ihrer Rolle als zurückgesetzte Prinzen-Frau nicht abfinden wird. Blut fließt, auch unschuldiges, denn ein neuer König muss her.

Vieles spielt sich in diesem Roman in abgeschlossenen Räumen ab. In und auf der wirtschaftlich eingesetzten Kampfzone des weiblichen Körpers, in abgeschotteten und abgekoppelten Herrschafts- und Machträumen, in der Liftkabine, im Turm, im Hauptschlafzimmer, im Haus am Meer. In vier Haupt- und 48 Unterkapiteln (auf der Höhe des 48. Stockes kam es zum ersten Körperkontakt) versucht Lilly ihr "Erinnerungsknäuel" zu entwirren und, wie sie sagt, den Quellcode zu finden.

Der Roman ist in kurzen Episoden sowie zahlreichen Vor- und Rückblenden erzählt, die - und das ist neben seiner sprachlichen Präzision und Vielschichtigkeit der große Vorzug dieses Buches - ebenso viel enthüllen, wie sie verschleiern. Wie in einem Puzzle fügen sich die Sequenzen im Lauf der Lektüre passgenau aneinander, wobei das Ende verschiedenste Interpretationen offen lässt.

Sitzt Lilly am Ende in der Todeszelle, hat sie Alexander, der den Königsmord ausführte, verraten? Oder er sie? Man weiß es ebenso wenig wie man Lilly kennt, in deren assoziativen Erinnerungsstrom man 220 Seiten lang gezogen wird. Ihr Inneres scheint ungefähr so reduziert zu sein wie die exquisite Möblierung der Turmetage. Daher erfahren wir in diesem Buch keine Vorgeschichten, keine Erklärungen und erst recht keine Gründe. Die braucht es in einer Welt, in der die Ichs flexibel und die " Anzugskrieger" in den Chefetagen ebenso austauschbar wie die " Funktionsträger" in den Lobbys sind auch gar nicht mehr.

Berechnung ist alles, Vertrauen nichts, allein die Einsamkeit bleibt. " Je plumper, desto besser", meint Duncan als er einen Manager mit untergeschobener Kinderpornografie abschießt, und "in der Schlichtheit liegt die Größe" sagt Lilly, den Königsmord planend. Olga Flor hat mit Die Königin ist tot (Zsolnay-Verlag) eines der beachtlichsten Bücher dieses Jahres geschrieben - nicht nur was das Mann-Frau-Thema betrifft. (Stefan Gmünder, DER STANDARD, 2.1.2013)