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Friendship Bay

Foto: Archiv
Er kam vor einem Jahr, den Strohhut im Genick, langhaarig und eine kleine Reisetasche in der Hand. Gefüllt mit Rum, Farbpinsel und zwei, drei Badehosen, wie manche böse Mäuler ätzten. Oder mit den Papieren von der Scheidung, der Steuerfahndung, dem Firmen-Bankrott. Die Gerüchte über den Mann mit dem Strohhut blühen üppig auf Bequia, fast so wie die lappigen Blütenkelche und tropischen Ranken, die die karibischen Gärten der schönsten Grenadineninsel wie farbenfrohes Unkraut überwuchern.

Er ist Amerikaner, so viel steht fest. Ein Runaway, heißt es im Dorf, einer, der sich nun als Schildermaler verdingt - und sich selbst mit der Wahl seines Bretterbuden-Ateliers reich belohnt. Park Bay heißt die Adresse des amerikanischen Einsiedlers, vielleicht, weil mitunter ein Ruhe suchender Insulaner hier sein Auto parkt und am äußersten Ende der Straße, die sich vom Inselhauptort Port Elizabeth in zahlreichen Serpentinen quer über das bergige Bequia schlängelt, quer durchs "Wohnzimmer" zum Meer hinunterlatscht.

Das Wohnzimmer des US-Robinson

Palmen, zwischen denen sich ein Sonnensegel spannt. Statt exotischer Fototapete genießt der gute Mann den Blick auf das Original. Auch der Naturteppich im Wohnzimmer hat seine Reize: Flauschig grünes Gras wächst zwischen den Palmen, dahinter findet sich ein Streifen feiner, weißer Sand und brüchiges schwarzes Gestein, das die Gischt weiß verquirlt und dem man durchaus erweiterte Zimmerbrunnen-Qualitäten zusprechen kann.

Der einzige Nachbar ist ebenfalls ein Glücksfall: Er ist viel zu beschäftigt, um dem bärtigen Amerikaner mit neugierigen Fragen auf die Pelle zu rücken. "Brother" King heißt dieser Nachbar, ein pensionierter Fischer, der es sich zur Lebensaufgabe gemacht hat, die Leatherback-Schildkröten der Gegend zu retten, und dessen "Old Hegg Turtle Sanctuary" von Bequias Fischern eifrig mit Eiern versorgt wird. Am südlichen Zipfel des Kleinen Antillen-Bogens nehmen sich die Leute für ihre Hobbys allem Anschein nach eben noch etwas Zeit.

Die Hochburg des Tourismus

Das kleine Bequai gilt dabei als Hochburg des grenadinischen Tourismus - und sieht zugleich weit weniger steril aus, als solche Attribute normalerweise verheißen. Mega-Resorts blieben der Insel bis dato erspart, und die fünftausend Einheimischen grüßen auch weiterhin jeden Fremden, der ihnen auf Port Elizabeths Hafenmole begegnet.

Umso stärker fällt indessen das karibische Lokalkolorit aus: Urige Schoner mit dem gewissen Piratenaroma schaukeln im Hafen. Das Wasser ist sauber genug, um darin den Nachwuchs zu baden oder aber von der Reling Salti zu üben. Zwei abgewrackte Zuckerrohrbrennereien verteilen sich über die Insel, und der Rumpunsch mit Eis und Limone lässt die nachmittägliche Sonne noch ein weniger milder auf die schokofarbenen Passanten und hellgrauen Schindelhäuser scheinen. Selbst die Shopping-Optionen verströmen den sympathischen Charme der dörflichen Do-it-yourself-Industrie. Die schönsten Modellschiffe der westlichen Hemisphäre stehen dafür Pate.

Sensationelles Bananen Chutney

Ebenso wie Miss Poppies hausgemachte Orangenmarmelade und ihr sensationelles Bananen Chutney. Man findet Poppy gleich unter dem Brotfruchtbaum der Hafenstraße - einer Pflanze übrigens, die der berühmte Captain Bligh von der "Bounty" anno 1793 aus Tahiti kommend in den Grenadinen einführte. Dass sich wenige Seemeilen weiter südlich eine so brutal geschniegelte Privatinsel wie das berühmte Mustique befindet, eine Art Villen-Club der Superreichen, vermutet man im legeren Port Elizabeth kaum.

Es sei denn, man verirrt sich im Rahmen der Weiterreise Richtung Süden an Bord einer Jacht. Exklusiv ist der Ministaat St. Vincent & Grenadines freilich in jedem Falle: Außer der betagten "Barracouda", einem zweimal die Woche zwischen St. Vincent und der südlichsten Grenadineninsel Union Island hin- und herschipperndem Postboot, reist man hier im wahrsten Sinne des Wortes als Charter-Tourist - und chartert sich eben sein privates Ausflugsboot.

Bereuen wird man dies allerdings nur in den seltensten Fällen: Wer Mustique und das bergige Canouan backbords liegen lässt, erreicht auf diese bequeme Weise nämlich ganz im Süden die besten Schnorchel- und Badegründe weit und breit.

Tobago Cays

Tobago Cays heißt das naturgeschützte Gewirr aus feinsandigen Inselchen und gut bestückten Korallengärten, eine türkisgrüne Wasserfläche,die sogar mit schwimmendem Partyservice und Lobster-Take-Away aufwarten kann. Das wirkliche Leben der Inseln fällt trotz der Papayas und Hummer und Rumbuden etwas rauer aus. Wer den Alltag des kleinen Archipels kennen lernen möchte, das erst 1979 die Selbständigkeit erlangte, der tut dies am besten auf St. Vincent, der mit Abstand größten und am dichtesten besiedelten Insel des Staates.

Columbus entdeckte St. Vincent erst im dritten Anlauf, im Jahre 1498, als die hier lebenden karibischen Indianer ihre Insel noch Hairoun nannten. So heißt heute das nationale Bier, das aus St.Vincents köstlichem Bergwasser gebraut wird - neben den über die Insel verteilten Steinzeichnungen das einzige Relikt aus indianischer Zeit. Leicht übersehen ließ sich das Eiland auf Dauer aber nicht: Eindrucksvolle Vulkankegel ragen hier bis in die Wolken hinein, am höchsten mit dem aktiven Gipfel La Soufrière.

Das Feuer der Erde stiftet weiterhin lokale Identität: Dunkle Strände und zackige, steile Klippen erinnern auf Schritt und Tritt daran, dass es sich bei St. Vincent um eine Vulkaninsel handelt. Besonders reizvoll fällt die kurvige Spazierfahrt zur windstillen Küste aus: adrette Dörfer hinter jeder dritten Serpentine. (Der Standard/rondo/11/7/2003)