Elisabeth Edl, geboren 1956 in Graz, studierte Germanistik und Romanistik. Sie hat zahlreiche französische Autoren (u. a. Patrick Modiano, Julien Green) übersetzt und herausgegeben. Ihre Neuübersetzung von "Madame Bovary" erschien bei Hanser, München.

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STANDARD: Der Titel eines Kunstbuchs lautet: "Frauen, die lesen, sind gefährlich". Auf Emma Bovary bezogen, müsste es eher heißen: Frauen, die viel lesen, sind gefährdet.

Edl: Bei Emma Bovary stimmt's ganz sicher. Denn die ganze Geschichte läuft ja von Anfang bis Ende so, dass Emma viel gelesen hat. Sie sagt ja auch in einem Augenblick der Melancholie und Schwermut: Ich habe alles gelesen. Ehemann und Schwiegermutter versuchen sie immer vom Lesen abzuhalten, weil das Lesen offenbar einen schlechten Einfluss auf sie hat. Die Vorstellung, wie sie sich ihr Leben ersehnt, stammt aus Büchern. Tatsächlich liegt das ganze Debakel von Emmas Leben im Zu-viel-Lesen von Büchern. Sie zimmert sich da eine Märchenwelt mit dazugehörigem Prinzen.

Ziemlich am Anfang des Romans werden ja Emma und ihr Mann Charles auf das Schloss eines benachbarten Grafen eingeladen. Und bei diesem rauschenden Fest ist Emma ganz nahe dem ersehnten Leben. Nur: Das erlebt sie einmal und nie wieder. Sie ist und bleibt die Frau eines kleinen Landarztes. Und ab da geht es steil bergab mit Emma.

STANDARD: Was Emma aus den Büchern herausliest, ist ja sehr romantisch und auch kitschig. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Gustave Flaubert mit Häme und Genuss diesen Romantokitsch für sein Buch entworfen hat.

Edl: Ja, aber es ist nicht nur Romantokitsch. Emma liest Honoré de Balzac und Victor Hugo. Auch da zieht sie Elemente für ihr Leben heraus. Emmas Problem ist, dass sie die literarischen Fiktionen für möglich, erstrebenswert, also für real erachtet. Das ist so, wie wenn sich Frauen heute nach Figuren aus bestimmten Soap-Operas kleiden oder einen Filmstar imitieren. Was früher das Buch war, ist heute Fernsehen und Film. Naive, romantische und verkitschte Vorstellungen von Frauen gibt es heute genau so wie zur Zeit der Emma Bovary.

STANDARD: Flauberts Roman "Madame Bovary" von 1857 gilt auf der einen Seite als unübersetzbar, andererseits gibt es eine Menge Übersetzungen ins Deutsche. Das ist doch ein Widerspruch?

Edl: Vielleicht ist es ja diese Unübersetzbarkeit, die immer alle Übersetzer gereizt und herausgefordert hat, es erst recht zu probieren. Ich glaube ja auch nicht, dass der Roman unübersetzbar ist. Der Grund ist, dass Flaubert selber den Anspruch hatte, einen vollkommenen Roman zu schreiben, und auch davon überzeugt war, dass er es geschafft hat.

Diese Vollkommenheit besteht aber nun nicht in der Geschichte, sondern im Stil. Er hat sich ja banale Leute, ein banales Thema ausgesucht: Ehebruch in der Provinz unter Kleinbürgern. Und die Perfektion sollte einzig und allein durch die sprachliche Form, durch den Stil zustande kommen. Und das begründet dann auch die Geschichte mit der Unübersetzbarkeit. Flaubert wollte ja das Genre des Romans praktisch auf die Ebene, auf das Niveau der hohen Gattungen seiner Zeit heben. Das heißt: Lyrik und Drama. Und damit kommt man beim Übersetzen sofort in eine andere Kategorie, nämlich eher in die Kategorie des Übersetzens von Lyrik oder Versdramen.

STANDARD: Flaubert soll nicht nur an jedem Satz geschliffen haben. Er soll seine Sätze tatsächlich hinausgebrüllt haben.

Edl: Das stimmt, glaube ich, wirklich. Das findet man oft in Briefen. Wenn er um zwei, drei Uhr in der Nacht aufhört, am Roman zu arbeiten, schreibt er Sätze wie: Ich bin komplett heiser, mir dreht sich der Kopf, mein Hals brennt, weil ich stundenlang gebrüllt habe. Das heißt, die Sätze mussten sozusagen den Brülltest bestehen. Er hat das getan, um die Melodie, um den Rhythmus eines Satzes zu testen.

STANDARD: Man sagt, mit "Madame Bovary" sei der realistische Roman rundum erneuert worden. Aber es gibt im Roman auch die romantisierte Vorstellungswelt von Emma, dann die oft zynischen Beschreibungen der Landbevölkerung. Das alles ergibt doch keine realistische Erzählform?

Edl: Natürlich nicht! Flaubert hatte nicht die Absicht, einen realistischen Roman zu schreiben. Realismus war für ihn ein Schimpfwort, auch nach der Madame Bovary. Er wollte einen trockenen, ironischen, bösen Roman schreiben. Selbst von der Geschichte her betrachtet: Wenn man versucht, bei der Madame Bovary eine Chronologie der Ereignisse in großen Zügen festzuhalten - das geht überhaupt nicht!

Flaubert hat auch immer ganz absichtlich die Spuren verwischt. Es ist fast eine Attrappe von Realismus. Er tut manchmal so, als sei da Realismus, indem er zum Beispiel ganz genaue Uhrzeiten, Daten nennt. Und man hat dann den Eindruck: Aha, das alles läuft ganz realistisch ab. Ist es aber nicht. Denn wenn man versucht, diese Sachen zusammenzurechnen - wie lange dauert diese ganze Geschichte, wie lang sind Emma und Charles verheiratet? - hat man die größte Mühe, eine Chronologie auch nur ansatzweise zuwege zu bringen.

STANDARD: Es gibt viele harte Nüsse zu knacken, will man Flauberts vielschichtige, extrem genaue Sprache ins Deutsche übersetzen. Was war für Sie die härteste Nuss?

Edl: Ich glaube, die ganz harten Nüsse sind immer da, wenn's um Zwei- und Mehrdeutigkeiten geht. Das betrifft auch unterschwellige Anspielungen. Flaubert ist sehr gern obszön. Das heißt, ein Satz kommt harmlos daher, aber unterschwellig stecken Obszönitäten drinnen. Wenn man etwa an die Beschreibung von Charles Bovarys Mütze denkt, kann man nur lachen. Denn diese Mütze endet in einer Schnur, in einer dünnen Kordel, und am Ende dieser Kordel baumelt dann ein Goldfarbenknäuel in Form einer Eichel. Und diese Mütze hält der junge Charles immer auf seinem Schoß. Das heißt, von Anfang an scheint diese Figur nicht gerade körperlich wohlproportioniert zu sein. Und man kann daraus folgern, dass er wegen dieser Mütze als Ehemann dann ein Versager sein wird.

STANDARD: Flaubert wurde wegen seiner "Madame Bovary" angeklagt. Es ging um den Verstoß gegen die öffentliche Moral und die religiöse Sittlichkeit. Staatsanwalt wie Verteidiger hatten es dabei auf die Ehebrüche von Emma Bovary abgesehen: Dem einen galten sie als Beweis von Flauberts Unsittlichkeit, dem anderen als Beweis der Abschreckung, die Ehe zu brechen. Und wo steht da Flaubert selbst?

Edl: Ehebruch war ein Thema, das ihn beschäftigt hat - immer schon! Bereits als 15-jähriger schreibt er: "Adultère", also "Ehebruch", sei das schönste Wort in der französischen Sprache. Der junge Flaubert ist fasziniert von den Ehebrecherinnen und von der Vorstellung, mit einer verheirateten Frau eine Liebesbeziehung zu haben. Der 16-, 17-jährige Autor hat Ehebruchsgeschichten geschrieben, die dann auch später für die Emma Bovery ganz wichtig sind, also als einzelne Elemente, die darin Eingang finden.

Das ist das eine. Das andere betrifft die Plattheit einer solchen Geschichte. Ich glaube nicht, dass Flaubert provozieren wollte. Er wollte einfach die Lächerlichkeit, die Dummheit der Bürger darstellen. Und ein gehörnter Ehemann ist das Lächerlichste, was man sich vorstellen kann. Genau das war ja das Skandalöse. Denn Ehebruchsgeschichten gab's damals zuhauf in der Literatur. Aber eher am Theater, in Vaudeville-Stücken, und nicht in einem Roman, der als seriös auftreten wollte und der diese Seriosität ja durch die sprachliche Gestalt bewiesen hat.

Das hat der Staatsanwalt Flaubert auch vorgeworfen. Dass er seine ganze Kunst als Romancier einsetzt. Der Staatsanwalt hat gesagt: Sie besitzen diese Kunst in hohem Maße. Und Sie verwenden Ihre Begabung für eine solche verwerfliche Sache. Der große, lyrische, sprachlich perfekte Roman als Beschreibung eines Ehebruchs in der Provinz, im kleinbürgerlichen Milieu - das hat die Leute damals auf die Palme gebracht. Und dieses Szenario macht Flauberts Roman heute noch so interessant. (Andreas Puff-Trojan, Album, DER STANDARD, 22./23.12.2012)