Seit 2008 betreibt Amani Eltunsi die "Girls Only Radio Station", einen Online-Radiosender für Frauen.

Foto: Alexandra Schneider

Anfang Dezember erhielt Amani Eltunsi im Rahmen des Filmfestivals "This Human World" den Menschenrechtspreis der Österreichischen Liga für Menschenrechte.

Foto: Alexandra Schneider

Seit 2008 betreibt die  29-jährige Amani Eltunsi die "Girls Only Radio Station" (arabisch: "Banat wa bas"), einen Online-Radiosender für Frauen. In ihren Sendungen spricht sie über Themen, die in anderen Medien vernachlässigt werden. Vor allem sind es kritische Beiträge über das Thema Gleichberechtigung von Frauen in der arabischen Welt.

Anfang Dezember erhielt Amani Eltunsi im Rahmen des Filmfestivals "This Human World" in Wien den Menschenrechtspreis der Österreichischen Liga für Menschenrechte. Im daStandard.at-Interview erklärt sie, warum das Wort "Revolution" in Ägypten für sie bereits überholt ist, und erzählt über die von ihr initiierten Projekte, die für die Rechte der arabischen Frauen kämpfen.

daStandard.at: Wie haben Sie die Zeit seit der Revolution in Ägypten erlebt?

Eltunsi: Die letzten zwei Jahre waren die schlimmsten meines Lebens. Ich habe mir Freiheit und Demokratie erwartet, und alles kam ganz anders. Am Internationalen Frauentag im März 2011 wurden Frauen auf dem Tahrir-Platz angegriffen und bedroht. Irgendwie war das gesamte Umfeld auf einmal ein ganz anderes als das während der Revolution, und das nicht einmal einen Monat später. Das hat mich sehr deprimiert.

daStandard.at: Was denken Sie über die aktuellen politischen Entwicklungen?

Eltunsi: Ich habe Angst und Hoffnung zugleich. Meine Angst ist, dass der Präsident der Muslimbrüder an der Macht bleibt und der Verfassung zugestimmt wird. Das wird ein einziges Chaos werden, das Ende der Demokratie und das Ende von allem, wovon wir geträumt haben - das Ende der Revolution. Eine Revolution bedeutet Errungenschaften und Erfolge, meiner Ansicht nach gibt es momentan aber keine Erfolge, also auch keine Revolution mehr.

daStandard.at: Sie haben während der Monate der Revolution Ihr erstes Buch geschrieben.

Eltunsi: Ja, ich habe Tag für Tag geschrieben, es war mein Tagebuch. Und ich habe es jeden Tag, an dem ich zum Tahrir-Platz gegangen bin, beim Portier meines Hauses gelassen, damit es nicht verloren geht, falls ich nicht mehr zurückkomme. Ich habe darin zusammengefasst, was ich mir für mein Land wünsche, es heißt "A Girl's Wishes from Tahrir Square". Der Titel passt gut, weil mein Vorname Amani übersetzt "wishes" heißt. Das Buch ist auf Arabisch und Englisch erschienen.

daStandard.at: In Ihrem eigenen Verlag Shabab Books?

Eltunsi: Ja, ich bin auch Verlegerin. Ich veröffentliche Bücher von jungen Autoren und Autorinnen, die über gesellschaftliche Tabuthemen schreiben. Seit 2009 haben wir rund 40 Bücher veröffentlicht, also schon mehr als 40.000 Exemplare, weil wir pro Auflage 1.000 Stück drucken. Die meisten davon gibt es aber bereits in der zweiten oder dritten Auflage. Von mir selbst sind auch schon zwei Bücher erschienen, das über den Tahrir-Platz und ein anderes über geschiedene Frauen in Ägypten. Mein drittes Buch wird gerade gedruckt und ist ein Buch über mich.

daStandard.at: War es einfach, Buchläden zu finden, die Ihre Bücher verkaufen?

Eltunsi: Im ersten Buch meines Verlags ging es um Homosexualität in Ägypten. Ich hatte noch keine Erfahrung mit dem Verlegen und dem Buchmarkt, es war also wirklich ein Risiko. Die Buchläden haben es zurückgewiesen, weil es ein Tabuthema behandelte. Ich habe 5.000 Stück drucken lassen und daraufhin auf meiner Website verlautbart, dass man das Buch unter meiner Telefonnummer bestellen kann. Dann habe ich jedes Buch selbst ausgeliefert, wie eine Pizzalieferantin. (lacht) Es war schnell ausverkauft. Danach haben sich einige Buchläden bei mir gemeldet und gefragt, ob es noch Exemplare gibt.

daStandard.at: Vor Ihrem Engagement als Verlegerin machten Sie sich bereits als Radiomacherin mit dem Online-Radiosender "Girls Only Radio Station" einen Namen in der jungen arabischen Welt. Wie viele Menschen hören mittlerweile Ihren Sender?

Eltunsi: Da es eine Online-Radiostation ist, weiß ich, wie viele Subscriber ich habe. Bis jetzt sind es fünf Millionen.

daStandard.at: War "Girls Only" während der letzten zwei Jahre immer online?

Eltunsi: Nein, ich sende immer dann, wenn ich Geld habe, und wenn ich keines habe, eben nicht. Das Streamen kostet jeden Monat sehr viel, weil wir fünf Millionen Subscriber haben und daher eine unlimitierte Bandbreite brauchen. Und das ist nicht billig. Aber ich versuche natürlich, so oft wie möglich online zu sein.

daStandard.at: Als sie 2008 mit dem Radiomachen begannen, bekamen Sie die Anweisung des Nationalen Sicherheitsrats, nicht über Politik und Religion zu sprechen. Also mussten Sie Ihre Beiträge sehr vorsichtig gestalten. Wie sieht die Situation heute aus, können Sie offener über Themen sprechen?

Eltunsi: Ich habe auch jetzt wieder Anordnungen bekommen - ich soll nichts gegen die Muslimbrüder sagen. Das kam aber nicht von offizieller Seite, deshalb höre ich das einfach nicht. Momentan sprechen wir über alles, ich kritisiere auch das Regime.

Mein Ziel ist es nicht, nur Radio zu machen und Hörerinnen zu haben, die meine Sendungen gut finden. Ich möchte, dass unsere Gesellschaft und viele Gesetze verändert werden. Ich möchte, dass Mädchen und Frauen vor Angriffen geschützt werden und ihre Rechte Eingang in die Politik finden. Darum bin ich - und viele andere - sehr aktiv. Zum Beispiel auch beim Thema weibliche Genitalverstümmelung. Ich habe das selbst als Kind erlebt, die Beschneidung ist noch immer eine Tradition - eine unmenschliche Tradition. Wir haben 10.000 Unterschriften von Personen gesammelt, die sie ablehnen, und brachten das Thema auch ins Parlament.

daStandard.at: Für Ihre Arbeit als Sprachrohr von Frauen in Ägypten haben Sie letztes Jahr den deutschen Young Leaders Award gewonnen. Jetzt wurden Sie auch mit dem Menschenrechtspreis der Österreichischen Liga für Menschenrechte ausgezeichnet. Berichten ägyptische Medien über Ihre Arbeit?

Eltunsi: Ja, das tun sie. Ich bin oft in den ägyptischen Medien, auch im Fernsehen. Die Tageszeitungen folgen meinen Aktivitäten, wir geben ihnen neue Inhalte. Wir arbeiten sehr partnerschaftlich mit den Medien zusammen, und sie respektieren unsere Arbeit. Die Medien ignorieren mich und die Dinge, die wir tun, nicht - das tut nur die Regierung.

daStandard.at: Sie setzen sich also gleich an mehreren Fronten für die Frauenrechte ein.

Eltunsi: Ich habe auch noch ein weiteres Projekt ins Leben gerufen, das "U-Turn" heißt. Dabei geht es um die Rehabilitation von Frauen, die drogensüchtig sind, vergewaltigt wurden oder nach einer Scheidung nicht mehr weiterwissen. Ich habe mich mit Ärzten in Kairo zusammengeschlossen, und wir haben einen Ort geschaffen, an dem diesen Frauen geholfen werden kann. Jedes Mädchen, jede Frau kann sich bei uns melden, und wir helfen ihr, ganz egal welches Problem sie hat. Und wenn wir selbst nichts tun können, schicken wir sie zu einer anderen Organisation weiter.

daStandard.at: Haben Sie eine Vision für Ihr Land und die jungen Frauen in Ägypten?

Eltunsi: Das ist eine sehr schwierige Frage. Ich bin nicht sehr optimistisch. Die wirtschaftliche Situation in Ägypten wird schlechter und schlechter, weil weniger Touristen kommen, wir verlieren jeden Tag viel Geld an der Börse, die Muslimbrüder stärken ihre Macht mit  Darlehen von der internationalen Banken, obwohl sie sehr reich sind. Sie geben nicht, sie wollen nehmen.

Ich habe keine Erwartungen, aber ich habe Wünsche. Ich wünsche mir, dass die Verfassung gestoppt wird und die Muslimbrüder dorthin zurückgehen, wo sie hingehören, nämlich ins Gefängnis. Ich wünsche mir, dass Frauen in unserer Gesellschaft gleichberechtigt sind und es ein Familienrecht gibt, das Frauen vor Angriffen und Vergewaltigung schützt. Ich möchte als Frau frei durch die Straßen gehen können, ohne belästigt zu werden. Ich wünsche mir, mich sicher zu fühlen in meinem eigenen Land, das ich sehr liebe. (Jasmin Al-Kattib, daStandard.at, 20.12.2012)