Nach langen Jahren scheinen wir uns endlich daran gewöhnt zu haben, dass Österreich eine säkularisierte Gesellschaft ist und Weihnachten im Wesentlichen ein säkuläres Fest. Jingle Bells statt Stille Nacht. Das ist auch gut so. Besser und ehrlicher, ein fröhliches Fest zu feiern, an dem alle teilnehmen können, als die verordnete Christlichkeit, die vor noch nicht allzu langer Zeit viele dazu bewogen hat, in den Weihnachtsfeiertagen lieber weit weg in irgendein tropisches Strandhotel zu flüchten.

Manche finden es schade, das Christkind und Krippe, Ochs und Esel, Engelchor und Gloria aus der Öffentlichkeit verschwunden sind und sich nun alles scheinbar nur ums Essen und Einkaufen dreht. Aber ist es wirklich besser, wenn sich ins Klingeln der Kaufhauskassa die Klänge von Es ist ein Ros entsprungen mischen? Wenn zur Weihnachtszeit Besinnlichkeit und Frömmigkeit einem mehrheitlich dem Christenglauben entfremdeten Publikum gleichsam mit sanfter Gewalt aufs Auge gedrückt werden?

Viele heute Erwachsene erinnern sich mit Schaudern an vergangene Weihnachtsfeiern in der Familie. Kinder, die so tun mussten, als " glaubten sie ans Christkind", obwohl sie längst wussten, dass die Geschenke von den Eltern kommen. Heuchelei statt ehrliche Verbundenheit, Sentimentalität statt Weihnachtsfreude, Kitsch statt Schönheit. Und die Erleichterung der Jungen, wenn sie zu angemessener Stunde endlich entwischen konnten, um mit ihren Freunden auf ihre Art zu feiern.

Die allgemeine Säkularisierung hat den Druck von Weihnachten genommen. Wer will, kann weiter auf hergebrachte Art feiern, mit der Weihnachtsgeschichte aus dem Lukasevangelium, den schönen frommen Liedern von O du Fröhliche bis zu Adeste fideles, mit den Kindern und den alten Verwandten, die sonst viel allein sind und froh, wenn einmal im Jahr die ganze Familie zusammenkommt.

Aber er oder sie muss nicht. Man kann auch mit Freunden feiern oder ausgehen, weil nicht mehr, wie früher, sämtliche Lokale der Stadt am Heiligen Abend geschlossen sind, gleichsam als Strafe für die Ungläubigen. Es ist auch keine Katastrophe, wenn jemand zu Weihnachten allein ist. An diesem Abend allein sein - das galt noch vor relativ kurzer Zeit als so ziemlich das Ärgste vom Ärgsten und das Traurigste vom Traurigen. Grund genug, um zum Strick oder zur Pistole zu greifen.

Das ist nicht mehr so, Gott sei Dank. Es gibt genug Andersgläubige oder Nichtgläubige, denen Weihnachten nicht viel bedeutet. Niemand muss sich als Ausgestoßener und Außenseiter fühlen, wenn er oder sie an den freien Tagen einfach die Ruhe genießt, es sich mit einem spannenden Buch und einem Glas Wein gemütlich macht oder ins Kino geht. Und den ganzen Weihnachtsrummel einfach an sich vorüberziehen lässt.

Es ist paradox: Wenn der unausgesprochene Zwang zur Weihnachtsfreude weg ist, kann diese sich viel eher einstellen. In der säkularisierten Gesellschaft kann der Einzelne das Geschehen unbefangen beobachten, aus der Nähe oder aus der Ferne, mitmachen oder auch nicht. Und Christ und Jude, Muslim, Buddhist oder Heide können einander aus ganzem Herzen wünschen: Fröhliche Festtage! (Barbara Coudenhove-Kalergi, DER STANDARD, 20.12.2012)