Jena - Kieselalgen vermehren sich zumeist asexuell, durch Zellteilung. Manchmal jedoch steigen die auch Diatomeen genannten Winzlinge, bei denen es sich nicht um Pflanzen handelt, für kurze Zeit auf eine sexuelle Reproduktionsweise um. Dieser Wechsel ist eine Notwendigkeit, wie Forscher aus Deutschland und Belgien in der Zeitschrift "Angewandte Chemie" berichten. Sie haben eines der Pheromone, die für die sexuelle Vermehrung eine Rolle spielen, isoliert und dessen Struktur charakterisiert.

Kieselalgen haben harte mineralische Schalen, die wie bei einer Schachtel mit Deckel aus zwei überlappenden Hälften gebildet werden. Während der asexuellen Zellteilung erhalten die neuen Zellen jeweils eine Hälfte der Schachtel und bilden den fehlenden Deckel neu. Da der nachgebaute Teil in der Schale der Mutterzelle gebildet wird, nimmt die Zellgröße einer Population stetig ab. Ist eine kritische Zellgröße erreicht, müssen die Kieselalgen sich daher sexuell vermehren: Das Resultat ist dann wieder eine Zelle der ursprünglichen Größe. Tun sie dies nicht, sterben sie. "Sex oder Tod", fasst Georg Pohnert von der Universität Jena den Mechanismus zusammen.

Lockstoffe, die sich vielleicht nutzen lassen

Bislang gab es nur indirekte Hinweise, dass bei bestimmten Kieselalgen-Arten Pheromone als Regulatoren bei der Paarung beteiligt sind. Die chemische Struktur dieser Signalmoleküle war nicht bekannt. Das Team von den Universitäten Gent und Jena hat nun die Rolle solcher Botenstoffe bei der Spezies Seminavis robusta erforscht. Wenn sie die kritische Zellgröße erreicht, differenzieren sich zwei sexuelle Zelltypen, als + und - bezeichnet. Anschließend sammeln sich Zellen des beweglichen +Typs um eine anlockende -Zelle. Das Team um Georg Pohnert, Marnik Vuylsteke und Wim Vyverman konnte belegen, dass beide Paarungstypen tatsächlich chemische Signale produzieren, die das Paarungsverhalten des jeweiligen Partners aktivieren.

Der isolierte Lockstoff wurde als Diprolin identifiziert. Diprolin ist bisher noch nicht als Pheromon beschrieben, wurde aber in höheren Pflanzen und Pilzen bereits nachgewiesen, wo ihm antibakterielle Aktivität zugeschrieben wird. Mögliche praktische Anwendungen dieser Erkenntnisse sieht Pohnert auch : "Es bleibt nun zu erforschen, inwieweit diese neue 'Lockchemie' dazu genutzt werden kann, das Wachstum von Algen in Aquakulturen zu unterstützen oder auch lästige Biofilme der Algen zu kontrollieren." (red, derStandard.at, 30. 12. 2012)