Wien - "Hätten wir hier vergleichbar günstiges Gas, würden wir das Werk in Europa bauen. Dem ist aber nicht so." Wolfgang Eder, Vorstandsvorsitzender des Stahlkonzerns Voestalpine, sieht Europa in eine Richtung marschieren, in die auch die USA unterwegs waren, bis dort mit der Förderung von Schiefergas begonnen wurde. Seitdem sind die Gaspreise jenseits des Atlantiks in den Keller gerasselt und haben eine Welle von Industrie-Neuansiedlungen ausgelöst.

Voestalpine springt nun auf diesen Zug auf, nimmt gut eine halbe Milliarde Euro in die Hand und stellt ein Werk für Vormaterialien auf die grüne Wiese. "Zwei Standorte stehen in der Endauswahl", sagte Eder bei der Präsentation der neuen Konzernstrategie am Mittwoch in Wien, "einer ist in Kanada, der andere in den USA."

Möglichst günstiges Gas, möglichst viele Optionen, was die Rohstoffversorgung betrifft, und die passende Logistik zum Verladen der Eisenbriketts aufs Schiff: Das seien die wesentlichen Kriterien, an denen sich die Wahl des Standorts letztlich entscheide.

Kosten senken

Nach der geplanten Produktionsaufnahme Anfang 2016 sollen die in Nordamerika hergestellten Eisenbriketts die Kosten bei der Stahlerzeugung in Linz und Donawitz "um einen nicht geringen zweistelligen Millionen-Euro-Betrag" pro Jahr senken. Das Verfahren der Direktreduktion, das im geplanten Werk angewandt werden soll, ist seit vielen Jahren bekannt. Erst durch die niedrigen Gaspreise in Nordamerika sei es aber auch wirtschaftlich interessant geworden, sagte Eder.

Ob sich Linz und Donawitz damit auch langfristig absichern lassen, bezweifelt Eder. "Die europäische Politik muss umdenken, sonst marschieren wir in Richtung Deindustrialisierung", sagte der Voestalpine-Chef.

Bis zum Jahr 2020 soll der Konzern gemäß der am Dienstagabend vom Aufsichtsrat der Voestalpine genehmigten Strategie um rund acht Milliarden auf etwa 20 Milliarden Euro Umsatz wachsen - die eine Hälfte organisch, die andere Hälfte mittels Akquisitionen. Als durchschnittliches Ziel für die Ebitda-Marge wurden 14 Prozent genannt; die Ebit-Marge soll etwa neun Prozent betragen.

Geht es nach Eder und seinem Vorstandsteam, wird der Konzern nur noch ein Viertel seines Geschäfts mit der Herstellung von Stahl machen, den Rest soll die Verarbeitung beisteuern - insbesondere in den Bereichen Mobilität (Auto, Bahn, Flugzeug) und Energie (Öl, Gas, Strom, Erneuerbare). Derzeit lautet das Verhältnis etwa 30 zu 70 - nachdem man vor zehn Jahren noch einen Umsatzanteil von 55 Prozent bei Stahl und von 45 Prozent bei weiterverarbeiteten Produkten auswies.

Die Zahl der Mitarbeiter soll bis 2020 weltweit um gut 15.000 auf knapp 62.000 zulegen. Etwa zwei Drittel des Zuwachses werde außerhalb Europas erfolgen, ein Drittel in Europa. In Österreich, wo Voestalpine derzeit rund 21.000 Mitarbeiter beschäftigt, will man langfristig 20.000 halten.

Aktie im Plus

Die Analysten von JP Morgan haben unterdessen das Kursziel für die Aktien der Voestalpine von 29,0 auf 34,0 Euro erhöht. Die Kaufempfehlung "Overweight" wurde bestätigt. Die neue Strategie findet offenbar auch bei den Aktionären Gefallen: Der Aktienkurs des Stahlkonzerns lag am Mittwoch kurz vor Börsenschluss mit knapp ein Prozent im Plus. (Günther Strobl, DER STANDARD, 20.12.2012)