Kleine Heldin, die sich nicht unterkriegen lässt: Quvenzhané Wallis als Hushpuppy in "Beasts of the Southern Wild".

Foto: Polyfilm

Wien - Hushpuppy und ihr Vater Wink leben in der Badewanne. Die "bathtub" liegt dem Mississippi-Delta vorgelagert, ein armes, wildes, sumpfiges kleines Eiland, das von Überflutung und Stürmen bedroht und deshalb nur noch dünn besiedelt ist: von heiligen rotgesichtigen Trinkern beiderlei Geschlechts, von zauberkundigen Frauen und unfrisierten Kindern und all jenen, die mit dem Land und ihrem Leben dort so verwurzelt sind, dass sie es nirgendwo anders aushalten könnten.

Hushpuppy, eine dürre Sechsjährige mit Kraushaarschopf und entschlossener Miene, findet in diesem Leben seinen eigenen Sinn und Zusammenhang: Im Bewusstsein der kindlichen Heldin von Beasts of the Southern Wild sind alle Dinge miteinander verknüpft. Einfache Handlungen zeitigen gewaltige Wirkung. Ein zorniger Schlag gegen die Brust des Vaters vermag die Elemente rund um den Erdball in Aufruhr zu bringen. Die tote Mama steht Hushpuppy manchmal im Alltag zur Seite. Krakelige Strichmännchen dienen dem Mädchen als Bannzeichnung und zur Selbstvergewisserung. Aussagen sind wörtlich zu nehmen. Und manchmal bebt die Welt sanft unter dem schweren Tritt urzeitlicher Riesentiere. Die Grenzen zwischen Wirklichkeit und (Wach-)Traum sind in den Geschehnissen - und in Hushpuppys Kommentaren aus dem Off - fließend.

Wirklichkeit im Blick

Der 30-jährige US-Regisseur Benh Zeitlin erzählt in Beasts of the Southern Wild eine Geschichte vom vielfältigen Abschiednehmen, und er behält dabei konsequent die Perspektive von Hushpuppy bei. Entwickelt hat der New Yorker sein Langfilmdebüt basierend auf einem Theaterstück der Autorin Lucy Alibar über mehrere Jahre während Aufenthalten in New Orleans. Viele Erfahrungen - etwa die Ölkatastrophe nach dem Unglück auf der Deepwater Horizon 2010 - und viele Gespräche sind in das Projekt eingeflossen.

Das Ensemble hat Zeitlin aus ortsansässigen Laien rekrutiert, auch die großartig widerborstige Quvenzhané Wallis, die Hushpuppy verkörpert, spielt hier ihre erste Kinorolle. Anfang 2012 wurde Beasts of the Southern Wild veröffentlicht. Schon gleich nach der Premiere beim Sundance Filmfestival wurde er vielerorts als Entdeckung gehandelt. Der Grand Jury Prize von Sundance war dann nur die erste einer ganzen Reihe von Auszeichnungen, die die kleine Produktion übers Jahr hinweg einsammeln konnte.

An den Kinokassen war der Film ebenfalls erfolgreich, in den USA wurde er von Fox Searchlight bundesweit verliehen, international ist er in mehr als einem Dutzend Ländern angelaufen. Das ist umso erfreulicher, als Beasts of the Southern Wild, gemessen am Gros des Filmoutputs eine sehr eigenständige Geschichte erzählt: ein Märchen mit Realitätssinn, das seine Monster gewissermaßen bei Maurice Sendaks Wilden Kerlen entlehnt, zugleich auf Ereignisse rund um Hurrikan Katrina 2005 Bezug nimmt und auf sehr emphatische Art von Klassenunterschieden in den Südstaaten der USA und von gesellschaftlicher Begradigung handelt.

Denn das kleine, naturwüchsige Idyll in der leckgeschlagenen Badewanne, die Welt, die Hushpuppy kennt und in der sie sich trotz allem sicher fühlt, ist bedroht. Nicht nur von Wind und Wetter, sondern auch von einem schwerwiegenden Geheimnis, das Papa Wink umtreibt, und durch Behörden, die der kleinen Gemeinschaft von Outcasts mit Zwangsevakuierung und Auflösung drohen.

Aber Beasts of the Southern Wild hat nicht umsonst mit Pauken und Trompeten und Sternspritzern und einer jubilatorischen Sequenz begonnen, die bereits von einer gewissen Unbeugsamkeit kündete. Auch wenn Hushpuppy, die ihr Papa liebevoll unterwürfig "Boss" nennt, nur beschränkte Möglichkeiten hat, lässt sie sich davon erst einmal nicht beirren: "Wenn du klein bist, musst du eben erledigen, was du erledigen kannst." (Isabella Reicher, DER STANDARD, 19.12.2012)