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An Kroatien wird deutlich, dass sich nationale Geschichtsschreibung schnell ändern kann und welche Reformkraft die EU entfalten kann, wenn sie wirklich will. Es gibt wohl kein anderes Land, das binnen weniger Jahre einen derart radikalen Bruch mit der Vergangenheit und seinen Eliten vollzogen hat - auch jenen, die als Helden galten -, sein wirtschaftliches System öffnete und politisch aus der Isolation trat. Der Balkan Express hat die maßgeblichen Akteure der Post-Tudjman-Ära vor die Kamera geholt: seinen Nachfolger in der konservativen HDZ, Ivo Sanader, der wegen Korruption vor Gericht steht, die ehemalige oberste Chefanklägerin des Jugoslawien-Tribunals in Den Haag, Carla del Ponte, den Übergangspräsidenten Stipe Mesić und die neue Außenministerin Vesna Pusić.

Zu Wort kommen aber auch der Tudjman-Biograph Jakov Sedlar, der noch immer so tut, als hätte der katholische Gott persönlich Franjo Tudjman ausgesucht, um das kroatische Volk zu befreien und nach "1000 Jahren" wieder "auftauchen" zu lassen. Der Balkan Express tut also nicht so, als gäbe es in Kroatien keinen mythenuntersetzten Nationalismus mehr. Ermacht aber einen Streifzug durch die Selbst- und Fremdbilder, die sich nach wie vor um den Krieg drehen.

"Ein Krieg ist kein Freibrief für Verbrechen", sagt Del Ponte dazu. Kroatien hat das in Den Haag lernen müssen. Mit Folgen. Mittlerweile würden in Zagreb wahrscheinlich weniger Leute für den verurteilten General Ante Gotovina, als anlässlich der Gaypride auf die Straße gehen. Die kroatische Wirklichkeit ist eine komplizierte Angelegenheit, vor allem weil es viele Opfer und viele Helden gibt und weil die Helden und die Opfer während des Kriegs und nach dem Krieg wechselten. Als serbische Freischärler und die jugoslawische Volksarmee 1991 Vukovar in Schutt und Asche legten und schlimmste Kriegsverbrechen begingen, waren die Kroaten die Opfer. Vier Jahre später wurde ein großer Teil der serbischen Minderheit (zehn Prozent) aus der Krajina vertrieben. Lange ging es darum, die "kroatischen Helden" nicht zu "verraten", sprich nach Den Haag auszuliefern.

Doch dank reformwilliger Kräfte kam es anders. Die "unerbittliche del Ponte" (© Mesić) hat maßgeblich dazu beigetragen. Der Balkan Express entlockt ihr dabei interessante Details. So erzählt sie etwa, dass 2005, als Gotovina endlich geschnappt wurde, seine Ehefrau ungewollt den entscheidenden
Hinweis geliefert hatte. Sie hatte vergessen, wie sonst das Mobiltelefon zu wechseln. Del Ponte zollt Sanader durchaus Respekt für diesen "politischen Akt". Auf der Fahrt mit dem Balkan Express erfährt man aber auch, dass längst nicht alles in Butter ist. In Vukovar gehen Serben und Kroaten getrennt ins Caféhaus. Viele Serben sind nicht in die Krajina zurückgekehrt. "Es ist ein Reinigungsprozess", sagt Außenministerin Vesna Pusić. Und es ist genau dieser Ton, der frei von Selbstbeweihräucherung, Vertuschung und Stolz ist, der zeigt, wie erfolgreich Kroatien und die EU gearbeitet haben. (Adelheid Wölfl)