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Seit 2008 Chefdirigent bei den Rotterdamer Philharmonikern: Yannick Nézet-Séguin.

Foto: Alex Brandon/AP

Wien - In seiner federnden Elastizität verbindet sich die Wucht eines Boxers mit der Eleganz eines Tänzers, Rhythmus und Melos finden zu einer idealen, gleichberechtigten, beglückenden Partnerschaft. Spätestens seit seinem gefeierten Dirigat von Gounods Roméo et Juliette bei den Salzburger Festspielen 2008 ist Yannick Nézet-Séguin auch in Europa ein großer Name; im selben Jahr trat der kompakte, quirlige, charismatische Kanadier auch sein Chefdirigentenamt beim Rotterdam Philharmonic Orchestra an.

Im September dieses Jahres konnte man das künstlerische Gespann beim Musikfestival Grafenegg erleben mit einer Zweiten von Brahms, die Maßstäbe setzte in ihrem Zusammenspiel von Wucht und Filigranität - von Kraft und Poesie. Äußerst eindrucksvoll der erste Programmpunkt des Gastspiels im Wiener Musikverein am Mittwochabend, Beethovens zweite Symphonie:

Yannick Nézet-Séguin vertraute hier wie jüngst auch Dirigent Riccardo Chailly mit dem Gewandhausorchester Leipzig den irrwitzig schnellen Metronomangaben Ludwig van Beethovens von 1817: Der Puls des Allegro con brio wird so fast zum Pulsrasen, Sechzehntelnoten im Abstand einer kleinen Sekund mutieren zu Teufelstrillern.

In kräftigen Farben

Die revolutionären Sturmgewalten, die der 1975 Geborene hier entfachte, mutierten zwar mitunter zum echten Wirbelwind, der gleichmacherisch über die Motive hinwegfegte, aber: geschenkt.

Die Niederländer musizierten mit heißen Herzen und strahlenden Mienen. Wunderschön auch das in kräftigen Farben, mit zugkräftigen Bögen gemalte Larghetto, das Beethovens späte Tempoangaben eigentlich zum Andantino machen.

Bei Gustav Mahlers vierter Symphonie kippten die positiven Eigenschaften des Dirigenten dann allerdings doch ins Negative: Nézet-Séguin zeigte zu vieles, und er zeigte alles leider überdeutlich. Die groteske Note des als "symphonische Humoreske" erstkonzipierten Werks kam in der inflationären Hyperintensivierung von 100 kleinen Details fast nicht mehr zur Wirkung; bei den Schlüssen des ersten und des dritten Satzes produzierte Nézet-Séguin dynamische Extreme, aber keine Stimmung.

Gewinnend das balsamisch schlichte Strömen zu Beginn des dritten Satzes, blass Kate Royals Sopransolo im vierten. So kam es dann auch: Ein für Gastspielauftritte zurückhaltender Applaus quittierte den Rummelplatz-Mahler, was Nézet-Séguin etwas traurig wirken ließ wie einen angeschlagenen Boxer.     (Stefan Ender, DER STANDARD, 14.12.2012)