Wien - Während draußen die Heizpilze glühen und der erste Schnee in die Punschtassen flockt, bekommen 50 direkt vor den ersten Stufen der Burgtheater-Feststiege platzierte Theaterbesucher den Hauch einer Ahnung, dass die Erfüllung des Wunsches "Zu- rück zur Natur" nicht mit beständigem Zuckerschlecken gleichzusetzen ist.

Der Seitenflügel des Ringtheaters, der als Spielstätte für Marlen Haushofers Roman Die Wand dient, ist wahrhaft prächtig - aber unwirtlich ist es hier freilich auch. Dorothee Hartinger und Christian Nickel haben die Inszenierung erarbeitet; Erstere spielt auch. Und was der große, hallende Raum der Aufführung dann in erster Linie bringt, ist überraschenderweise Intimität. Hartinger, die das Theater mit einem großen Rucksack bepackt betritt, verbringt den Großteil des eineinhalbstündigen Monologs direkt vor ihrer kleinen Zuhörerschaft, nutzt die Stiege nur selten für expressionistische Expeditionen.

Gekürzt, aber werkgetreu berichtet sie die vieldeutige Geschichte ihrer Figur, einer Frau, die nach einer einsamen Nacht in einer Jagdhütte feststellt, dass ihre nähere Umgebung durch eine unsichtbare Barriere von der restlichen Welt abgeschnitten ist. Diese erscheint durch das Fernglas bar jedes Lebens. Mit Hund, Katz und Kuh lernt sie, in ihrer Isolation zu überleben.

Durch die wörtliche Übernahme des Textes bleiben Interpretationsspielräume erhalten. Zugleich verdeutlicht Hartingers nur gelegentlich melancholisch eingefärbter Vortrag, dass ihre Erzählerin ihr Schicksal zu keinem Zeitpunkt als persönliche Katastrophe wahrnimmt.

Als sie das erste Mal gegen die Wand stößt, wird sie nicht von Angst oder gar Panik ergriffen, sondern nimmt das Unerklärliche vielmehr mit einem überraschten Lächeln hin, welches sie über ihren gesamten Weg begleiten wird. Die Trennung vom Alltagstrott hat bei allem Komfortverzicht auch ihr Gutes. Lediglich wenn den Tieren, deren Laute die Schauspielerin für ein wenig Hörspiel-Feeling ab und an imitiert, ein Leid geschieht, zeigt sich die Eingeschlossene tiefer bewegt.

Mit sparsamem Einsatz von Licht und Requisiten lässt Dorothee Hartinger die Geschichte im Kopf der Zuseher entstehen. Kein großes Drama, sondern, worauf man sich freilich einlassen muss, das schlichte Erzählen eines ungebrochen faszinierenden Romans. Lang anhaltender Applaus für die sichtlich bewegte Darstellerin auf der großen Stiege.   (Dorian Waller, DER STANDARD, 13.12.2012)