Arbeiterin Prem Shila geht es wie ...

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... Kleinbauer Radha Kanta Sahu und seiner Frau: Mit Baumwolle die Existenz sichern.

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Prem Shila presst das Mikrofon an die Lippen, ihre Stimme wird zum Flüsterton, der Menschenandrang um sie herum macht sie schüchtern. Seit 16 Jahren arbeite sie auf dem Feld in Lohnarbeit, erzählt die 35-Jährige und streicht über ihre von den Baumwollsträuchern zerkratzten und von der Sonne dunkel gegerbten Arme. Hundert Rupien, umgerechnet knapp 1,4 Euro, verdient sie damit am Tag, ein von der indischen Regierung ausgegebener Fixpreis, erläutert ihr Arbeitgeber Radha Kanta Sahu, der Journalisten in der brütenden Hitze auf sein kleines Feld geführt hat.

Prem Shila ist wie viele Frauen des Dörfchens Thimra tief im Hinterland des Bundesstaates Odisha auf die Saisonarbeit angewiesen. Das Feld ihres Mannes reicht zum Überleben nicht aus. Ihre Kinder will sie später in Berufen abseits der Baumwollproduktion wissen, lässt sie nach einigem Zögern wissen, immer wieder unterbrochen von erklärenden Einwürfen der Männertruppe rundum.

Diskriminierung ist am Land Praxis

Der Weg in ihr Dorf führt über eine staubige, mit Schlaglöchern gepflasterte Straße, die in der Regenzeit zu einer schlammigen Falle wird. Ein Schild an der Ortseinfahrt gibt Auskunft über die Kasten, die Sozialstruktur seiner Bewohner. Diskriminierung niedriger Kasten ist in Indien längst verboten, am Land sieht die Praxis jedoch vielfach anders aus. Es beginne bei verbotenen Eheschließungen und ende damit, dass Unberührbaren einzelne Dorfstraßen verwehrt blieben, berichten Menschenrechtsexperten.

Das Haus des Landwirts Radha Kanta ist ein schlichter weiß getünchter Ziegelbau. Sechs Kinder hat er hier mit seiner Frau Mrunal Basumati großgezogen. Alle seien zur Schule gegangen. Den ältesten Sohn sehe sie gerne als Lehrer, alle Töchter habe sie verheiratet, sagt Mrunal, und ein zufriedendes Lächeln huscht ihr über das Gesicht. Die Wahl des Zukünftigen treffe die Familie gemeinsam, das erfordere die Tradition. Ein roter Haarscheitel weist die jungen Frauen als vergeben aus: Er verheißt ihren Ehemännern ein langes Leben.

Wasser und Strom, Computer in Aussicht

Wer den quirligen Kinderstimmen ums Hauseck folgt, landet in einem schattigen Schulhof. Es ist Mittagspause. Den jüngeren der 300 Schüler stehen exakt hundert Gramm Reis zu, Gemüsecurry und ein Ei. Die Älteren erhalten einige Gramm mehr, erklärt Direktor Gyo-dabasi Rath. Als er vor 36 Jahren in den Ort nahe Bhawanipatna gekommen sei, habe es hier "nichts" gegeben. "Jetzt haben wir Wasser, sogar Strom." Ein japanischer Besucher habe ihm Computer für die Schüler versprochen, darauf warte er allerdings schon seit Jahren.

Kalahandi ist eine von vielen Regionen Indiens, die vom Baumwollanbau leben. Indien sorgt für gut ein Fünftel des weltweiten Bedarfs an der weichen Faser und ist nach China der größte Produzent.

Kaum ein landwirtschaftliches Produkt braucht mehr Wasser, kaum eines ist anfälliger für Parasiten; derer 500 verschiedene Arten werden gezählt, immer neue teure chemische Keulen sind nötig. Mehr als 90 Prozent des Saatguts ist hybrid und muss jährlich erneuert werden - ein Markt, den US-Riese Monsanto kont rolliert.

Hohe Kosten, geringe Erträge

Indiens Baumwollbauern geben dafür gut ein Viertel ihrer Erträge aus. Stark schwankende Preise am Weltmarkt werden zur wirtschaftlichen Bedrohung, Missernten treiben viele in den Ruin.

65 Prozent der indischen Bevölkerung hängen von der Landwirtschaft ab. "86 Prozent davon erzielen keine Gewinne", sagt Kavitha Kuruganti, die sich von Bangalore aus mit der Allianz Asha für nachhaltigen Anbau einsetzt. Seit 1996 hätten sich 260.000 Bauern in Indien umgebracht, die meisten hatten auf gentechnisch veränderte Baumwolle gesetzt. Ob diese weniger Pestizide braucht, ist umstritten. Nötig sei jedenfalls mehr teurer Dünger, klagt Kuruganti.

Das Dorf Thimra geht seit Jahren andere Wege. Ihm seien einst seine Ziegen gestorben, als sie mit Spritzmittel versehene Blätter der Sträucher fraßen, erinnert sich Landwirt Radha Kanta. Er stellte daraufhin auf Bioanbau um - Kollegen taten es ihm gleich. Auch Lehrer Gyodabasi trommelt gegen den Pestizideinsatz: Viele im Ort seien krank geworden. Krankheiten seien aufgetaucht, die es in dieser Form früher nicht gegeben habe.

Thimra ist zudem Teil der Fair-Trade-Initiative, die Mindestpreise und eine Prämie von fünf Cent je Kilo Baumwolle garantiert. Der Einsatz gentechnisch veränderten Saatguts ist strikt verboten. Über die Verwendung der Sozialprämie entscheiden die Bauern demokratisch. In Kalahandi wurde sie etwa in eine Linsen- und Reismühle investiert, wie in Schulungsräume.

Einschüchterung im Alltag

Unabhängig davon wurde Land aufgekauft, auf dem Saatgut nach dem Modell der österreichischen Arche Noah kultiviert wird. Ziel ist es, Landwirte damit unabhängiger von Monsanto zu machen. Mit besseren Rahmenbedingungen ist nach der Baumwollproduktion meist aber Schluss. 1,5 Millionen Inder arbeiten in der Textilfertigung, 80 Prozent sind Frauen. Sie seien schlecht ausgebildet, kämen vom Land in der Hoffnung auf ein besseres Leben, sagt Gopinath Parakuni, Chef der NGO Cividep. Doch auch in Fabriken der großen Städte arbeiteten sie von der Hand in den Mund. Ihr durchschnittlicher Tageslohn: 2,5 Euro.

Ein Liter Milch koste in Bangalore vergleichsweise 40 Cent, für Platz in einer geteilten Wohnung in schlechten Gegenden lege man 30 Euro im Monat aus. Arbeitsverträge seien selten. Willkürlich gesetzte Produktionsziele sorgten in den Werken für enormen Druck. Einschüchterung sei Alltag.

Das Ehepaar Balapati will in seinem Dorf Kumkal in Orisha bleiben. "Hier ist unser eigenes Land." Unter einem großen Wurzelbaum auf buntem Teppich erzählen sie über ihr Leben als Baumwollbau- ern - und wollen wissen, wie viel Europäer für ein Shirt ausgeben. Der Preis mache sie traurig, sagt Mithila unter ungläubigem Kopfschütteln. Um 25 Euro könnten sie ihren Sohn ein Jahr lang auf eine höhere Schule schicken oder für zwei Monate Lebensmittel kaufen. (Verena Kainrath aus Bhawanipatna, DER STANDARD, 13.12.2012)