Inhalte des ballesterer Nr. 78 (Jänner/Februar 2013) - Seit 11.12. im Zeitschriftenhandel!

SCHWERPUNKT: ALEX FERGUSON

DER MANN IN ROT
Alex Fergusons Laufbahn führte ihn aus der schottischen Arbeiterklasse an die Spitze Europas

ERFOLGREICHER JUGENDWAHN
Als die United-Küken fliegen lernten

DAS WUNDER VON BARCELONA
Nachspielzeit im Champions-League-Finale 1999

Außerdem im neuen ballesterer:

DIE LEGENDE BLEIBT
Mit Mario Haas auf den Spuren seiner Fußballgeschichte

EINGEFRORENE EKSTASE
Die schönsten Fotos vom Platz und den Rängen

DIE BRAUNEN EMINENZEN
In deutschen Stadien sorgen rechte Fans für Aufmerksamkeit

EISERN ROM
Der Überfall auf Tottenham-Fans in Rom

FUSSBALL AUF PLATZ DREI
Die irische Liga hat in Hurling und Gaelic Football harte Konkurrenz

REBELLIERENDER REFEREE
Harald Ruiss will Missstände im Schiedsrichterwesen offenlegen

KAMPF UM DIE STADT
Im brasilianischen Salvador herrscht wieder Derbyfieber

EINER GEHT VORAN
Der schwule Ex-Kicker Marcus Urban kämpft für mehr Offenheit

DAS ENDE DES FAIRPLAY
Ein Anstoß zur UEFA-Sperre von Luiz Adriano

TAKTIK TOTAL
Das Pressing

HILFERUF AN DEN FUSSBALLGOTT
Clemens Berger ist der 13. Mann

GROUNDHOPPING
Matchberichte aus Dänemark, Deutschland, Italien und Spanien

Foto: Cover ballesterer

ballesterer: Sie sind 1980 zum FC Aber­deen gekommen. Auf persönliche Einladung von Alex Ferguson?

Archie Knox: Vor mir war Pat Stanton Fergusons Co-Trainer, aber der ist zu den »Hibs« nach Edinburgh gewechselt. Ich war damals gerade Spielertrainer bei Forfar, und wir haben mit der Reserve gegen Aberdeen gespielt. Da ist Ferguson auf mich zugekommen und hat mir den Posten angeboten. Dann hat er mich zur Europacup-Partie gegen Twente Enschede eingeladen, um die letzten Details zu klären - das war es dann auch schon. Obwohl ich Alex vorher eigentlich nicht wirklich gekannt habe.

Welchen Eindruck hatten Sie vor der Zusammenarbeit von Alex Ferguson?

Knox: Er hatte bereits bei St. Mirren Großartiges geleistet und ist dann aus welchen Gründen auch immer entlassen worden. Dick Donald, der damalige Aberdeen-Präsident, hat sich diese Chance nicht entgehen lassen. Ferguson verdankt ihm zu großen Teilen seine Karriere.

Wer war der bessere Spieler von Ihnen beiden?

Knox: (lacht) Er hat für viel größere Klubs gespielt als ich. Da waren Kaliber wie Dunfermline, St. Johnstone und so weiter dabei. Er hat aber auch einmal den Cup gewonnen. Ich habe für Forfar, St. Mirren und Dundee United gespielt. Aber das interessiert heute niemanden mehr.

1983 haben Sie Aberdeen verlassen, um Dundee FC zu trainieren. Zweieinhalb Jahre später sind Sie zurückgekommen. Warum?

Knox: Nachdem wir mit Aberdeen den Cup der Cupsieger gewonnen hatten, hat Dundee mich wie aus dem Nichts verpflichtet. Eigentlich hatte ich gar keine Wechselabsichten, weil ich in Aberdeen sehr zufrieden war: Wir hatten eine gute Mannschaft, eine gute Atmosphäre und viel Erfolg. Aber ich habe mir gedacht, dass ich in Dundee einmal selbst der Chef sein könnte. Zweieinhalb Jahre später war ich Co-Trainer von Alex bei der schottischen Nationalmannschaft. Bei der WM in Mexiko hat er mir gesagt, dass es in Aberdeen wieder Zeit für eine Systemumstellung sei. Er hat mich gefragt, ob ich mir eine Rückkehr vorstellen könnte. Das konnte ich. In Dundee sind die guten Spieler nie lange geblieben, weil sich der Klub nur über Spielerverkäufe finanziert hat. Ich wollte aber mit Topspielern zusammenarbeiten und Pokale und Meisterschaften gewinnen.

Sie haben von einem Systemwechsel gesprochen. Wie haben Alex Ferguson und Sie Aberdeen umgebaut?

Knox: Schauen Sie sich die Mannschaft an, mit der wir den Cup der Cupsieger gewonnen haben: Da waren vier, fünf Spieler jünger als 21. Bereits in St. Mirren hat Alex den Fokus auf die Jugendarbeit gelegt, er wollte die Jungen immer so früh wie möglich in die Kampfmannschaft einbauen. Das ist ihm in Aberdeen und danach auch in Manchester gelungen. Zuerst ist er die alten Spieler losgeworden, dann hat er Butt, Scholes, Giggs, Beckham, die Nevilles und all die anderen aufgebaut. Das ist der Hauptgrund für den dauerhaften Erfolg von Manchester United.

Wie haben Sie sich die tägliche Arbeit aufgeteilt?

Knox: Ich habe immer das Training übernommen, auch die Details im Hinblick auf das bevorstehende Spiel. Er hat alles beaufsichtigt und die Pressearbeit erledigt. Das war mir nur recht, weil ich bei diesen Dingen sowieso nicht so stark involviert sein wollte. 

Was waren die größten Probleme, als Sie zu Manchester United gekommen sind?

Knox: United stand auf einem sehr schlechten Tabellenplatz. Wir haben zunächst einmal dafür sorgen müssen, dass wir keine Abstiegssorgen bekommen. Das war ein harter Kampf. Wir waren aber die richtigen Typen für den Job. In unserer zweiten vollen Saison sind wir hinter Liverpool Zweiter geworden. Wir haben den Klub in eine neue Richtung entwickelt, wir haben all die jungen Spieler geholt und aufgebaut.

Welche Spielertypen haben Sie dafür gesucht?

Knox: Ich habe in meiner ganzen Laufbahn nur zwei 13 bis 14 Jahre alte Spieler gesehen, bei denen ich mir sicher war, dass sie es schaffen würden: Ryan Giggs und Wayne Rooney bei Everton. Gary Neville war zum Beispiel nicht so einer. Aber er war darauf versessen, Profi zu werden, und hat es deshalb geschafft. Den unbedingten Willen, für Manchester United zu spielen, haben diese jungen Spieler alle geteilt: Nicky Butt, Ryan Giggs, David Beckham - sie haben Alex die Basis für ein neues erfolgreiches Team gelegt.

Aberdeen ist noch heute für sein gutes Scouting berühmt. War es das schon, als Sie zum Verein gekommen sind?

Knox: Nein, wir haben das gesamte Scouting aufbauen müssen. Alex und ich sind oft nach Glasgow gefahren, um junge Spieler zu trainieren. Wir haben immer direkt vor dem Celtic Park, vor der Nase unserer Konkurrenten, trainiert. Celtic und die Rangers haben damals nicht annähernd so gute Strukturen wie wir gehabt. Wir haben großartige Erfolge erzielt, weil unsere Scouts hinter den Kulissen fantastische Arbeit geleistet haben.

Man sagt, Sie hätten die jungen Kicker regelmäßig Ihre Autos waschen lassen. Stimmt das?

Knox: Das war ein ganz normaler Job, alle haben kleine Aufgaben rund um das Stadion erledigen müssen. Meistens war es ohnehin besser, das Auto selbst zu waschen - die Jungs waren nicht sehr pedantisch. 

Haben Sie das Scouting in Manchester und Aberdeen gemeinsam mit Alex Ferguson erfunden?

Knox: Nein, so weit würde ich nicht gehen. Wir haben es nicht erfunden, ich würde eher sagen, dass wir es ausgebaut haben. Alex wollte in Manchester eine neue Ära im Stile Matt Busbys starten. Er war überzeugt davon, dass das der richtige Weg sei. Mit Eigenbauspielern statt teuren Stars bringst du auch die Fans schneller auf deine Seite. 

Wie haben Sie die Jugendarbeit in Manchester verändert?

Knox: Wir haben damit angefangen, den Großraum Manchester zu beobachten. Da wohnen acht Millionen Menschen. Wir waren davon überzeugt, dass da genügend talentierte Kicker unterwegs sind. Wir wollten diese Rohdiamanten, die im Idealfall auch noch United-Fans waren, als Erste finden. Ryan Giggs war so ein Fall. Aber er war bei Manchester City in der Akademie. Uns ist eines Tages gesteckt worden, dass er in der Nähe unseres Trainingsplatzes kicken würde, und wir haben ihn dort beobachtet. An seinem 14. Geburtstag sind wir zu ihm nach Hause gefahren und haben ihn verpflichtet.

1989 war der Verein in einer tiefen Krise. Wie haben Sie das Jahr überstanden?

Knox: Wir haben den Cup gewonnen. Zu dieser Zeit wollte der Geschäftsmann Michael Knighton den Klub übernehmen, das hat viele belastet und ein bisschen von den schwachen Resultaten abgelenkt. Im Cup haben wir jede Runde auswärts gespielt und gewonnen - damit hat Alex seine Galgenfrist etwas verlängert und den Verantwortlichen gezeigt, dass sein junges Team eine Zukunft hat. Manchester United hat damals auch gar nicht die finanziellen Möglichkeiten gehabt, teure Spieler zu kaufen. Ralph Milne haben wir zum Beispiel von Bristol City um 180.000 Pfund geholt, und das war's auch schon wieder. 

In einem Interview mit dem »Scotsman« haben Sie gesagt, dass Ihre Beziehung zu Alex Ferguson in dieser Zeit etwas abgekühlt ist. Sie sind dann 1991 als Co-Trainer zu den Rangers gegangen. Hatten Sie sich mit ihm überworfen?

Knox: Nein, wir haben keine Probleme gehabt. Walter Smith, den ich aus gemeinsamen Spielerzeiten bei Dundee United gekannt habe, hat mir den Job bei den Rangers angeboten. Ausschlaggebend waren finanzielle Gründe: Ich war ein junger Familienvater und musste einen Kredit abzahlen. Die Rangers konnten verdammt viel mehr bezahlen als Manchester United. Ich habe also keine Wahl gehabt. 

Es war also nur eine Frage des Geldes?

Knox: Vollkommen. In Glasgow habe ich das Doppelte verdient.

Sportliche Perspektiven haben keine Rolle gespielt?

Knox: Nein, überhaupt nicht. In diesem Geschäft weißt du nie, wie lang du wo arbeiten kannst. Ich war glücklich über das Angebot und meinen Wechsel nach Glasgow. Obwohl Manchester United in der Woche meines Abschieds im Finale des Cups der Cupsieger gegen den FC Barcelona gespielt hat.

Das muss ja schrecklich gewesen sein. Hat es Ihnen nicht wehgetan, Ihr Team gegen Barcelona gewinnen zu sehen?

Knox: Natürlich, ich bin auch im Stadion gewesen. Aber so funktioniert das Geschäft nun einmal. United hätte mich gerne noch für diese Partie gehalten, aber die Rangers wollten mich sofort haben. 

Hat es später wieder das Angebot gegeben, zurückzukommen?

Knox: Nein, es macht auch keinen Sinn, darüber nachzudenken und zu versuchen, die Zeit zurückzudrehen. Ich habe bei United schwere Zeiten erlebt, aber mit den Jahren sind wir besser geworden: zuerst das FA-Cup-Finale, dann das Finale im Cup der Cupsieger. Wir haben dort das Fundament eines richtigen Imperiums errichtet.

Was ist Ihrer Ansicht nach der Hauptgrund, dass Alex Ferguson noch immer an der Seitenlinie steht?

Knox: Ein absoluter Erfolgsdurst und das Verlangen zu gewinnen. Er braucht die ständige Herausforderung, immer neue Teams aufzubauen. Für ihn gibt es wahrscheinlich nichts Schlimmeres, als den Meistertitel aufgrund der Tordifferenz zu verlieren - wie es ihm in der Vorsaison passiert ist. Daran hat er bestimmt gekiefelt, so etwas darf ihm diese Saison nicht noch einmal passieren. Er ist ein Getriebener, er will alles im Klub kontrollieren. Der Verein ist jetzt vielleicht größer als zu meiner Zeit, aber Alex diktiert noch immer jeden Pulsschlag.

Zum Start dieser Premier-League-Saison sind fünf Teams von schottischen Trainern gecoacht worden. Woher kommt diese erfolgreiche schottische Trainertradition?

Knox: Ja, da gibt es eine lange Liste, angefangen bei Bill Shankly, Matt Busby, George Graham und so weiter. Auch in den letzten Jahren wäre eine englische Liga ohne zwei, drei schottische Trainer und Spieler undenkbar gewesen. Aber im Moment produzieren wir leider zu wenige Spitzenspieler. 

Haben die Spieler nicht die Klasse Ihrer taktischen Ausbildung?

Knox: Das hat weniger mit taktischer Ausbildung als mit grundlegenderen Dingen zu tun. In den Schulen wird weniger gespielt, auf den Straßen sowieso. Junge Burschen denken heute nicht mehr so viel an Fußball.
Ferguson ist eine halbe Ewigkeit im Geschäft. Hat sich nur der Fußball verändert oder hat auch er sich der Zeit angepasst?
Er hat sich in jeder Einzelheit angepasst. Er weiß, welche Spieler er braucht und wie er spielen lassen muss. Und der Verein hat jetzt auch die finanziellen Möglichkeiten, jeden Spieler dieser Welt zu verpflichten. Aber seine Transfers waren immer sinnvoll, er hat sich nie übernommen. Wenn man die Ausgaben mit den Erfolgen in Relation setzt, sind die Ergebnisse fantastisch.

Sie waren Assistent des wohl erfolgreichsten Trainers aller Zeiten. Hat es Sie nicht gejuckt, selbst einmal in die erste Reihe zu wechseln?

Knox: Ich war in Forfar fünf Jahre lang Spielertrainer und habe auch Dundee trainiert. Ich war in meiner Karriere so glücklich, warum hätte ich daran etwas ändern sollen? Deshalb bin ich auch nach meiner Zeit in Dundee wieder Co-Trainer geworden. Der Klub war erfolgreich, das war mir das Wichtigste. Ich hätte die Mannschaft in Aberdeen von Alex übernehmen können, aber daran habe ich keine Sekunde gedacht. Ich habe gewusst, dass ich mit ihm nach Manchester gehen musste. Das war eine neue Aufgabe bei einem der weltgrößten Klubs. Auch die Rangers waren ein großer Klub - dort haben wir in sieben Jahren sechs Meistertitel gewonnen. Nur in Everton habe ich vier schwierige Jahre mit wenig Erfolg erlebt. Aber auch das war eine schöne Herausforderung.

Sprechen wir noch kurz über Ihr gemeinsames Leben mit Alex Ferguson in Manchester. Wie war das?

Knox: (lacht) Anfangs haben wir immer in Hotels gewohnt, dann haben wir ein Haus gefunden. Es war ganz normal, so wie mit jedem anderen. Auch beim Sonntagsfrühstück haben wir unsere Arbeitsteilung gehabt: Der eine ist zum Bäcker gegangen und hat die Zeitungen geholt, der andere ist in der Küche gestanden. An einem Sonntag, als ich schon alles besorgt hatte, habe ich plötzlich einen extrem lauten Knall aus der Küche gehört und eine riesige Stichflamme gesehen. Ich habe mir nur gedacht: Was zum Teufel passiert da? Alex hat bei unserem alten Herd das Gas angelassen und eine Zündholzschachtel hat Feuer gefangen - eine ordentliche Explosion.

Sie sprechen von Explosionen. Haben Sie und Ferguson ähnliche Charakterzüge?

Knox: In Fußballfragen auf jeden Fall. Zu Alex hat einmal jemand gesagt, dass es im Fußball immer einen guten und einen bösen Bullen braucht. Darauf hat er geantwortet, dass wir nur zwei böse Bullen haben. 

Sie werden also auch schnell rot im Gesicht?

Knox: Oh Gott, keine Frage - das passiert noch immer. Der Drang zu gewinnen wird weder ihn noch mich je verlassen.

Wie ist Ihre Beziehung heute?

Knox: Ausgezeichnet. Eigentlich hätte ich heute in Manchester sein sollen, wo seine Statue präsentiert wird. Aber wir haben morgen ein Spiel gegen die »Hibs«. Das geht sich leider nicht aus. Ich war aber vor einem Monat bei einem Treffen ehemaliger Spieler in Manchester.

Wie haben Sie sich die tägliche Arbeit im Haushalt aufgeteilt?

Knox: Alex hat sich zwar immer als Koch versucht, aber wir haben selten zu Hause gegessen. Ich kann mich nicht erinnern, dass er jemals wie Jamie Oliver gekocht hätte. Ein Spiegelei war schon das höchste der Gefühle. (Interview: Johannes Hofer & Stefan Kraft, 12.12.2012)