Jeder zweite Wiener Hauptschüler der achten Schulstufe verfügt nicht über die geforderten Kenntnisse in Mathematik. Nimmt man die AHS zu der Auswertung hinzu, verfehlt in der Bundeshauptstadt ein Viertel aller Schülerinnen und Schüler die Bildungsstandards. Wien schneidet österreichweit am schlechtesten ab und hat mit Abstand den höchsten Anteil an Risikoschülern. 

Wien ist die einzige Großstadt des Landes, das muss man dazusagen, es gibt mehr Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Und die Wiener Hauptschulen gelten schon lange als die Problemzonen des österreichischen Bildungssystems. Die neu erhobenen Zahlen bestätigen dieses Bild. Doch auch in den anderen Teilen des Landes sind die Ergebnisse alles andere als zufriedenstellend. Jeder sechste Schüler der achten Schulstufe gilt als Risikoschüler. 

Die Ergebnisse führen einmal mehr vor Augen, wie es um Österreichs Bildungssystem bestellt ist, nämlich nicht allzu rosig. Der Bildungshintergrund der Eltern ist noch immer entscheidend für die Leistungen der Kinder, genauso spielt der Migrationshintergrund eine Rolle.

Das ist nichts Neues? Umso dramatischer, dass seit Jahren zu wenige Reformen umgesetzt werden. Die Lesekompetenz der Bildungspolitiker scheint nicht zufriedenstellend zu sein. Sei es PISA, PIRLS oder TIMSS, die Ergebnisse sind bestens dokumentiert. Seit vielen Jahren hören wir, dass sich Österreich maximal im Mittelfeld bewegt. Damit darf sich Bildungsministerin Claudia Schmied nicht zufriedengeben. Nicht Mittelfeld, sondern Spitzenklasse sollte das Ziel sein. Testen reicht nicht, Österreichs Schulsystem braucht Reformen.

Es wird ein Umdenken in der Politik stattfinden müssen. Vor allem bei jenen, die immer noch auf alten Strukturen beharren - und nicht nur bei Landespolitikern im Vorwahlkampf wie Günther Platter, der als einer der wenigen ÖVP-Politiker die Gesamtschule fordert. Was muss noch passieren? Seit Jahren wird durch Untätigkeit ein unglaubliches Potenzial verschleudert. Veraltete Strukturen gehören aufgebrochen, schon viel zu lange herrscht Stillstand. Nicht erst seit ein paar Jahren, seit Jahrzehnten.

Bildung ist nicht irgendein Larifari-Thema. Parteipolitische Interessen haben hier nichts zu suchen. Es gibt Länder, die erfolgreich Reformen gesetzt haben und in denen die Kinder gefördert werden. Nicht nur in Südostasien werden gute Ergebnisse erzielt, auch in Europa. Denken wir an das Beispiel Finnland. 

Und in Österreich? Seit Jahren wird über ein neues Besoldungssystem für Lehrer diskutiert, eine Einigung ist nicht absehbar. Ja, der Lehrerberuf muss attraktiver werden. Die Lehrer prägen die Kinder maßgeblich. Ihre wichtige Rolle muss auch entsprechend entlohnt werden. Doch gerade an diesem Beispiel zeigt sich, wie starr und unbeweglich die Verhandlungspartner Gewerkschaft und Politik sind.

Es muss sich etwas ändern. Damit Eltern ihre Kinder wieder an österreichische Schulen schicken können, ohne Angst haben zu müssen, dass ihr Potenzial nicht ausgeschöpft und ihre Talente in den prägendsten Jahren nicht gefördert werden. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 11.12.2012)