"Bis zum klinischen Versuch ist es aber noch ein langer Weg."

Foto: Biozentrum Universität Basel

Forscher am Biozentrum Basel wollen Autismus reversibel machen - Mit dem Zellbiologen Peter Scheiffele sprach Jutta Berger

STANDARD: Was läuft bei Autisten im Gehirn falsch?

Scheiffele: Das wissen wir noch nicht genau. Wir kennen aber die Schwierigkeiten, die Autisten im Leben haben: in der sozialen Interaktion, durch limitierte Interessen, fehlende Kommunikationsfähigkeit bis hin zum Verlust von Sprache. Entwicklungs-Neurobiologen versuchen zu verstehen, wie solche Verhaltensänderungen zustande kommen.

STANDARD: Sind Genveränderungen eine Ursache von Autismus?

Scheiffele: Die Humangenetik lieferte wesentliche neue Befunde. Aus der Zwillingsforschung wissen wir, dass ein starker genetischer Risikofaktor vorliegt. Wenn ein Zwilling betroffen ist, liegt bei eineiigen Zwillingen die Wahrscheinlichkeit, dass auch der zweite eine autistische Störung hat, bei 90 Prozent, bei zweieiigen Zwillingen nur bei zehn Prozent. Ein starker Hinweis darauf, dass es nicht um Umfeld- und Umwelteinflüsse geht. Der zweite wichtige Befund: Es wurden Gene identifiziert, die verändert sind. Wir haben Tiermodelle mit den gleichen genetischen Veränderungen erstellt und dann gefragt, wie sich diese Veränderungen auf neuronale Netzwerke im Gehirn und die Synapsen, die zur Kommunikation zwischen den Nervenzellen vorhanden sind, auswirken.

STANDARD: Was haben Sie in Mausexperimenten herausgefunden?

Scheiffele: Humangenetiker haben das veränderte Gen Neuroligin-3 bei manchen Patienten mit Autismus entdeckt, wir haben dieses Gen fokussiert und eine Mutation bei Mäusen nachgestellt. Das Ergebnis: Mäuse, denen das Gen für Neuroligin-3 fehlt, haben einen Defekt in der synaptischen Signalübertragung. Spezifisch handelt es sich um eine Fähigkeit von Synapsen, sich funktionell während Lernprozessen anzupassen. Sie werden stärker oder schwächer und können dadurch Lernprozesse fördern und im Gehirn abspeichern. Wenn wir Neuroligin-3 inaktivieren, findet diese funktionelle Anpassung nicht statt.

STANDARD: Kann man diesen Vorgang rückgängig machen?

Scheiffele: Wir haben im Tiermodell einen Schalter eingebaut, der uns erlaubt, die genetischen Veränderungen, die mit Autismus assoziiert sind, rückgängig zu machen - und zwar auch noch im Erwachsenenalter. Wir haben die Mäuse sich entwickeln lassen und gesehen, dass Veränderungen in den Netzwerken wieder rückführbar waren, wenn man das Gen wieder anschaltet. Das gibt Hoffnung für zukünftige therapeutische Optionen, auch in einem späteren Stadium.

STANDARD: Was kann man daraus für den Menschen ableiten?

Scheiffele: Beim Menschen kann man Gene nicht einfach ein- und ausschalten, das wäre auch ethisch bedenklich. Aber: Die Fehlfunktion der Synapsen und neuronalen Netzwerke sind an die Überfunktion eines spezifischen Rezeptors gekoppelt. Diesen Rezeptor wollen wir gezielt pharmakologisch beeinflussen, um dadurch Veränderungen der Gehirnfunktion aufzuheben. Substanzen werden gerade an Mäusen getestet. Bis zum klinischen Versuch ist es aber noch ein langer Weg.

STANDARD: Wie lange?

Scheiffele: Jahre. Eine konkrete Zahl kann ich nicht nennen. Aber es besteht großes Interesse der EU und von pharmazeutischen Firmen, rasch Medikamente zu finden. Dazu wurde das internationale Forschungsprojekt EU-AIMS eingerichtet. (Jutta Berger, DER STANDARD, 10.12.2012)