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Panzer vor dem Präsidentenpalast hielten Anhänger und Gegner Morsis im Zaum. Am Nachmittag zogen sich die Demonstranten zurück.

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Nach einem Krisentreffen von Präsident Mohammed Morsi mit Ministern und der Militärspitze verhängte die Armee am Donnerstag um drei Uhr Nachmittag ein Demonstrationsverbot vor dem Präsidentenpalast in Kairo. Die Muslimbrüder kündigten an, dem Befehl Folge zu leisten, und die meisten ihrer Anhänger zogen ab. Auch die anderen Demonstranten schienen sich aufzulösen. Die Soldaten begannen Betonwände aufzuschichten, um den Palast zu schützen.

Bevor die Armee diese Notbremse gezogen hatte, deutete alles auf neue Konfrontationen hin. Hunderte Islamisten verteidigten auch am Donnerstagmorgen ihr Terrain vor dem Präsidentenpalast im Kairoer Stadtteil Heliopolis. Die Opposition hatte für den Nachmittag wieder zu Protestmärschen aufgerufen, die sternförmig in diese Richtung führen sollten. Unter den Anhängern des Präsidenten waren viele religiöse Extremisten. "Wir kämpfen für Gottes Gesetz und gegen Säkulare und Liberale", plärrte eine Stimme von einem Lautsprecherwagen.

Die Attacken der Islamisten beschränkten sich nicht auf die Straße, auch in ihren Medien wurde gegen die Opposition gehetzt: Es seien nur Christen, die gegen die Scharia kämpfen würden. Dass die Muslimbrüder ihre Schläger mobilisieren, sei ein Aufruf zum Bürgerkrieg, warf Ahmed Maher von der Jugendbewegung 6. April der Regierungspartei vor. Opfer sind aber auch Muslimbrüder. In Alexandria wurde eines ihrer prominentesten Mitglieder krankenhausreif geschlagen.

Nach einer Nacht mit blutigen Straßenkämpfen, die laut Behörden mindestens fünf Tote und fast 700 Verletzte forderten, hatte die Republikanische Garde vor dem Präsidentenpalast Panzer aufgefahren. Ihr Kommandant, General Mohammed Zaki, betonte, dass die Armee kein Instrument der Repression sei und keine Gewalt gegen Menschen anwenden werde. Sie wolle lediglich neue Opfer verhindern. Zaki bat beide Seiten, sich voneinander fernzuhalten.

Der Scheich der Al-Azhar-Universität, der wichtigsten sunnitischen Lehranstalt, hat nicht nur zu Zurückhaltung und Dialog aufgerufen, sondern den Präsidenten sogar aufgefordert, die Dekrete mit den außerordentlichen Vollmachten außer Kraft zu setzen. Mit den Toten hat sich auch die Absetzbewegung vom Präsidenten verstärkt (siehe unten).

Gelähmtes Kairo

Die Eskalation der Gewalt hatte auch Auswirkungen auf den Alltag der Bevölkerung. Die Stadt war am Donnerstag viel ruhiger, der Verkehr weniger dicht. Viele Eltern schickten ihre Kinder nicht in die Schule. Bankfilialen schlossen, die Börse reagierte mit einem heftigen Kurssturz.

Morsis Machtpolitik der letzten zwei Wochen mit den autoritären Dekreten und dem im Eiltempo durchgeboxten Verfassungsentwurf hat einen Schulterschluss der zersplitterten Opposition bewirkt. Friedensnobelpreisträger Mohamed ElBaradei fungiert nun als ihr Koordinator und Sprecher der "Nationalen Rettungsfront". Nach den Toten habe das System alle Legitimität verloren, erklärte er. Der Schriftsteller Alaa al-Aswani nannte Morsi einen blutigen Diktator, der unter der Fuchtel des Geistigen Führers der Muslimbrüder stehe und zurücktreten solle.

Die Opposition gibt sich nicht mit der Retouche einiger Artikel im neuen Grundgesetz zufrieden. Sie verlangt neben einer Rücknahme der Dekrete auch, dass der ganze Prozess der Ausarbeitung der Verfassung neu begonnen und dazu eine ausgewogenere Kommission zusammengestellt wird. Das sind ihre Bedingungen für einen Dialog. Alles wartete gespannt auf eine angekündigte Rede Morsis. (APA, 06.12.2012)