Othmar Karas, Strassers ehemaliger Widersacher in Brüssel, auf dem Weg zu seiner Aussage: "Ich habe noch nie von einem Abgeordneten eine solche Einflussnahme erlebt - acht Anrufe und vier E-Mails!"

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Wien - Zu Beginn des sechsten Prozesstages im Fall Ernst Strasser verkündet Richter Georg Olschak verschmitzt: "Wieder Post aus England!" Inhalt des Schreibens: Der männliche Part des Aufdeckerduos der Sunday Times, Jonathan Calvert, könne wegen seiner Hüftoperation im Dezember nun doch nicht kommen, wahrscheinlich ist daher eine Befragung des Journalisten per Videokonferenz am 11. Jänner. "Aber wir könnten auch alle nach London fahren", scherzt der Vorsitzende, ehe er die nächste Auskunftsperson aufruft.

Ab da ist Schluss mit lustig. Strasser, wegen des Vorwurfs der Bestechlichkeit auf der Anklagebank, würdigt den Mann, der drei Meter vor ihm auf dem Zeugenstuhl sitzt, keines Blickes: Othmar Karas, seinen ehemaligen Widersacher im EU-Parlament. Auch der dort seit Strassers Rücktritt zum Delegationsleiter der ÖVP Beförderte ignoriert den Beschuldigten nicht einmal - und wendet sich ausschließlich dem Vorsitzenden zu.

Weil die beiden Scheinlobbyisten aus England Strasser einst für Geld um Gefälligkeiten bei Gesetzen gebeten haben, stresste der Ex-Innenminister Karas' Büro wochenlang wegen eines Abänderungsantrages zu einer Anlegerschutzrichtlinie. Karas lag zu der Zeit nach einem Skiunfall im Spital. Trotzdem weiß er: "Ich habe noch nie von einem Abgeordneten direkt eine solche Einflussnahme und Kontaktaufnahme erlebt - acht Anrufe und vier E-Mails!"

Anders als Strasser behauptet, die Telefonate und E-Mails seien bloß als Aufforderung zur "Prüfung" des Antrages zu verstehen gewesen, war es für ihn, Karas, "nicht ersichtlich, dass es sich um einen Antrag handelt, der nicht einzubringen wäre".

Karas hat Strasser über seine Mitarbeiterin aber nur ausrichten lassen, dass er ihn zurückrufen solle - und der Assistentin erklärt, dass Strassers Antrag keinesfalls eingebracht werde - weil dieser zu unternehmerfreundlich war. Es kam zum Telefonat - über Belangloses. Erst nach Auffliegen der Affäre sprach Strasser mit Karas darüber - und zwar kurz vor einer Blutabnahme bei Karas. "Ich habe ihm gesagt, dass ich das als Intervention empfand." Strasser wollte ihn vom Gegenteil überzeugen - nur kurz und erfolglos. Denn: "Ich war mitten im Stechen."

Für die Assistentinnen von Karas war die Hartnäckigkeit Strassers ebenso ungewöhnlich. Was Ulrike H. besonders in Erinnerung geblieben ist: "Herr Doktor Strasser hat einmal angerufen und gefragt, was in dem Abänderungsantrag, den er uns geschickt hat, überhaupt steht." Staatsanwältin Alexandra Maruna ungläubig: "Er schickt Ihnen etwas - und weiß nicht, was drinnen steht?"

Strassers Verteidigung, er habe hinter den "Lobbyisten" Agenten vermutet, bröckelt weiter. Rechtsanwalt Markus S. sagt aus, der Ex-EU-Parlamentarier habe ihm gegenüber nie etwas von dessen Verdacht erwähnt - stattdessen habe ihn Strasser im Jänner 2011 beauftragt, den von den Lobbyisten aufgesetzten Arbeitsvertrag rechtlich zu prüfen. Mitte Februar habe er bei einer routinemäßigen Kontrolle, also ohne Strassers Auftrag, dann entdeckt, dass die angebliche Firma nicht im britischen Firmenbuch aufscheint. Als S. das Strasser am 28. Februar mitteilte, war die Reaktion: "Aha. Ich treffe die eh nächste Woche." Nach dieser Neuigkeit habe Strasser "nicht mehr stoisch gewirkt".

Am Dienstag wird fortgesetzt. (Michael Möseneder, Nina Weißensteiner, DER STANDARD, 7.12.2012)