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Bofinger: "Die Aufgabe der Politik in so einer Situation wäre es, sich mit den Experten intensiver auseinanderzusetzen."

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Standard: Der deutsche Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) hat vor kurzem in Richtung der deutschen Ökonomen gemeint, dass ihre "Expertenvorschläge" die am wenigsten tauglichen Mittel zur Lösung der Eurokrise waren. Hat er recht?

Bofinger: Also wenn Herr Lammert die Vorschläge von Experten für unbrauchbar hält, dann frage ich mich, auf wen er ansonsten hören möchte? Will er sich künftig nur mehr an die Empfehlungen von Ignoranten halten? Das kann es ja nicht sein.

Standard: Lammert hat auf die Dauerstreitereien zwischen den deutschen Ökonomen angespielt. Sie und Ihre Kollegen sind bei fast jeder wichtigen Frage der Europapolitik unterschiedlicher Meinung. Wie soll die Politik da entscheiden, auf wen sie hört?

Bofinger: Die Aufgabe der Politik in so einer Situation wäre es, sich mit den Experten intensiver auseinanderzusetzen. Wenn die Politik Expertenmeinungen aus der Zeitung bezieht, ist das ein Problem. Wenn ich krank bin, und ich habe drei Ärzte, die unterschiedliche Ansichten über meine Behandlung haben, muss ich mich auch eingehender mit ihnen auseinandersetzen, um zu wissen, wem ich vertrauen soll.

Standard: Heißt das, die Politik hört den Ökonomen nicht zu?

Bofinger: Wir haben einen fortlaufenden Meinungsaustausch, die Politik weiß, was unsere Ansichten sind. Wir treffen zum Beispiel regelmäßig die Bundeskanzlerin, Herrn Schäuble und andere Minister. Aber insgesamt könnte der Dialog intensiviert werden.

Standard: Eskaliert ist der Streit im Sommer, als eine Gruppe von Ökonomen um den Münchner Werner Sinn in der "FAZ" einen Brief veröffentlichen ließ, in dem sie vor der Katastrophe warnte, sollte die Bankenunion in der Eurozone umgesetzt werden.

Bofinger: Mein Eindruck war, dass die Gruppe um Sinn nicht der Ansicht war, dass eine Bankenunion grundsätzlich schlecht ist. Als gefährlich haben sie die übereilte Einführung angesehen, also ohne dass geklärt ist, dass für die Altlasten in den Finanzsystemen eines Staates nicht ein anderes Land haftet. In diesem Punkt waren die Positionen gar nicht so weit entfernt. Problematisch fand ich die Diktion und die Forderung, dass für die Schulden der Banken die Gläubiger uneingeschränkt geradestehen sollen. Das klingt nur auf den ersten Blick gut. Denn wenn die Gläubiger der Banken selbst Banken sind, die über Eigenkapitalquoten von kaum mehr als zwei Prozent verfügen, dann ist der Vorschlag enorm gefährlich. Das war mein großes Problem mit dem Brief: Die ganzen systematischen Fragestellungen wurden nicht berücksichtigt.

Standard: Wobei der Aufruf, dass die Banken nicht immer gerettet werden dürfen, den Wunsch vieler Menschen schon auf den Punkt trifft. Das verbreitete Gefühl ist ja, dass in der Krise die Schulden sozialisiert wurden.

Bofinger: Aber das ist nicht ganz richtig. Die Bankgläubiger sind ja in der Tat geschützt worden. Aber das war vielleicht auch gut so: Diese Gläubiger sind ja Versicherungen, andere Banken, Pensionsfonds. Diese im großen Stil bluten zu lassen kann sehr schnell in eine systematische Krise führen. Wer aber in dieser ganzen Krise jedoch massiv geblutet hat, waren die Eigentümer der Banken, und das wird in den Medien kaum thematisiert. Die Leute, die im Jahr 2007 in Bankaktien investiert haben, haben massiv verloren. Wer damals sein ganzes Geld in Hypo Real Estate oder Lehman-Aktien gesteckt hat, der hat jetzt nichts mehr. Es ist falsch, pauschal zu sagen, der Staat hätte die Banken gerettet - er hat die Gläubiger gerettet, nicht die Eigentümer. Und das ist ja das, was man in einer Marktwirtschaft will: dass der Eigentümer für Fehlentscheidungen zahlen muss.

Standard: Noch einmal zurück zum Streit: Zwischen Ihnen und der Sinn-Gruppe sind ja ordentlich die Fetzen geflogen. Wie sehen Sie die Sache im Nachhinein: als einen erfrischenden Schlagabtausch oder als unnötigen Krach?

Bofinger: Ich glaube, der ganze Streit hat dem Ansehen der Ökonomen sehr geschadet. Wenn die Wissenschaft sich da in der Öffentlichkeit in der Tonalität streitet, macht das kein gutes Bild.

Standard: Was noch auffällt: Die deutschen Ökonomen untermauern ihre Argumente mit Endzeitszenarien. So warnen Sie in Ihrem neuesten Buch "Zurück zur D-Mark" vor einer tiefen Rezession und einer Massenarbeitslosigkeit, sollte der Euro scheitern. Muss es immer der Weltuntergang sein?

Bofinger: Ich finde die Entwicklungen derzeit einfach bedrohlich. Ein Land nach dem anderen kommt in die Rezession, es wird eine Politik betrieben, die diese Probleme verschärft, und jetzt schlittert langsam auch Frankreich in die Krise. Wenn man an dieser Strategie festhält, kann das meiner Ansicht nach zum Zusammenbruch des Euro führen. Anstelle eines solchen Durchwurstelns zeige ich zumindest alternative Strategien auf. Ich vergleiche die Situation der Währungsunion mit einem Tunnel: Wir sind in der Mitte eines Tunnels, in dem es ziemlich dunkel und die Luft schlecht ist und aus dem wir rauswollen. Sinn und andere deutsche Ökonomen jammern immer, wie schlimm es in dem Tunnel ist. Die Leute sagen: Wow, der beschreibt das aber toll, wie schrecklich das alles ist. Das mag ja sein, aber das hilft uns noch nicht dabei, wieder rauszukommen. Wir müssen uns jetzt überlegen, wohin wir wollen. Wir können uns entscheiden, zum Ausgang zu gehen, das wäre in meinen Augen eine stärkere fiskalische und politische Union. Allerdings ist der Tunnel in diese Richtung noch nicht fertiggebaut, und wir müssen hart daran arbeiten, die Röhre in diese Richtung fertigzustellen. Wenn wir das nicht wollen, sollten wir uns überlegen, ob wir besser zurück zum Eingang gehen, das wäre die Welt mit nationalen Währungen.

Standard: Wobei Sinn ja nicht nur jammert. Er schlägt zum Beispiel ganz konkret den Rauswurf Griechenlands aus dem Euro vor.

Bofinger: Das ist gefährlich, vor allem wenn man gleichzeitig dafür plädiert, dass auch die Spanier zumindest zeitweise austreten sollen. Das würde eine Kettenreaktion auslösen, bei der die Italiener die Nächsten wären und die Franzosen möglicherweise die Übernächsten. Das ist also keine wirkliche Lösung. Ich sehe darin ein grundsätzliches Problem der Forderungen zahlreicher deutscher Ökonomen. Sie behaupten zwar, für den Euro zu sein, aber das, was sie vorschlagen oder was sie ablehnen, führt unweigerlich zum Auseinanderbrechen des Euro. Wer beispielsweise die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank ablehnt, nimmt stillschweigend das Ende der Währungsunion in Kauf, da sie derzeit ohne solche intensiv-medizinischen Maßnahmen einfach nicht überlebensfähig wäre.

Standard: Wollen diese Ökonomen zurück zur D-Mark?

Bofinger: Also wenn man die Äußerungen so mancher Kollegen hört, kann man eigentlich nur zu dieser Schlussfolgerung kommen.

Standard: Rührt die Skepsis gegen die Rettungspakete nicht aus der Erfahrung mit Griechenland heraus? Das Land hat 149 Milliarden Euro an öffentlichen Hilfsgeldern bekommen, wird aber wohl eine weitere Entschuldung brauchen. Die Steuergelder aus Deutschland und Österreich wären dann weg. Das macht nicht unbedingt Lust auf weitere Rettungen.

Bofinger: Die Bürger haben das Gefühl, die Griechen bekommen das Geld, um ihren Lebensunterhalt zu finanzieren. Das stimmt nicht. Das Geld hat fast ausschließlich den Zweck, dass Griechenland die Zinsen an seine Gläubiger bezahlen kann. Wenn dem Land die Schulden gestrichen würden, könnte der Staat mit seinen Einnahmen seine Ausgaben weitgehend bestreiten. Man hat die öffentlichen Kreditgeber bisher geschont, und die müssen halt in Gottes Namen nun auch dran glauben. Die jetzt gefundene Lösung einer weitgehenden Stundung von Zinszahlungen ist eine gute Nachricht. Die Kosten für Deutschland und Österreich halten sich dabei in Grenzen. Man muss zudem sehen, dass beide Länder durch die Krise profitiert haben, weil wir uns zu extrem niedrigen Zinsen verschulden können. Die Kosten der jetzt beschlossenen Zinsstundung sind weit geringer als das, was sich unsere Staaten durch niedrige Zinsen jährlich einsparen. (András Szigetvari, DER STANDARD/Portfolio)