Drei satte Kinder vor leeren Tellern, eine nette Oma, viele Pasteten, eine bosnische Frühlingswiese: „Mit viel Liebe - Gemacht nach original bosnischen Rezepten und strikten Gesundheitsstandards und standardisierten Kontrollen", steht auf der Homepage des Lebensmittelproduzenten Akova, der vor allem Produkte aus Hühnerfleisch unter der Marke Ovako herstellt. Bloß das Zertifikat, dass diese Produkte den EU-Standards entsprechen fehlt auf der Homepage.

„Wir hatten Besuch von der EU-Kommission und haben gute Bewertungen bekommen. Unsere Produkte sind für die EU bereit, aber wir haben keine Institution in Bosnien-Herzegowina, die uns das Zertifikat ausstellt", erzählt Marketing-Direktor Nedžad Biberović. Solange die Produkte „nur" in Nicht-EU-Staaten ausgeführt werden, ist das auch kein Problem. Doch mit dem Beitritt Kroatiens zur EU am 1. Juli 2013, werden von bosnischen Lebensmittelproduzenten EU-Standards verlangt, wenn sie ins Nachbarland exportieren wollen. „Kroatien ist neben Montenegro unser größter Markt", sagt Biberović. „Den werden wir nun verlieren, im Vorjahr haben wir um sieben Millionen KM (3,57 Mio Euro) Lebensmittel nach Kroatien exportiert."

Freihandelsabkommen

Biberović ist nicht der einzige bosnische Unternehmer, der große Sorgen hat. Mit dem EU-Beitritt tritt Kroatien aus dem regionalen Freihandelsabkommens Cefta (Central European Free Trade Agreement) aus. Zu Cefta gehören neben Kroatien, auch Bosnien-Herzegowina, Serbien, der Kosovo, Albanien, Montenegro und die Republik Moldau. Kroatische Zöllner werden bereits ab 1. Jänner 2013 die Produkte, die EU-Standards nicht erfüllen, nicht mehr ins Land lassen.

Bisher gingen 30 Prozent der bosnischen landwirtschaftlichen Exportprodukte nach Kroatien, vor allem Milch- und Fleischprodukte. 2011 waren das Waren im Wert von 61,3 Millionen KM (31,3 Millionen Euro), davon machten die Milchprodukte im Wert von 42 Millionen KM (21,4 Millionen Euro) den größten Anteil aus, wie das Ministerium für Außenhandel in Sarajevo mitteilt. 32,3 Prozent der bosnischen Milch ist für den Export bestimmt, mehr als die Hälfte davon ging bisher nach Kroatien. Das Ministerium geht davon aus, dass Bosnien-Herzegowina durch den EU-Beitritt Kroatiens 30 Millionen Euro pro Jahr beim Export von landwirtschaftlichen Produkten verlieren wird.

Man rechnet jedenfalls damit, dass die Bauern den Milchverkauf „erheblich reduzieren" müssen, wie Dušan Nešković erklärt, der für landwirtschaftliche Produkte im Außenhandelsministerium zuständig ist. Wichtig sei, dass für Bosnien-Herzegowina nun die Reformen im Rahmen des EU-Abkommens abschließt, aber auch die Bereitschaft in andere Mitgliedstaaten der Cefta oder in die Türkei zu exportieren, sagt Nešković. Er glaubt, dass man „in den kommenden Monaten" noch die Maßnahmen im Rahmen der Roadmap, die von der EU erstellt wurde, erfüllen wird können. Man habe dazu ein Team aus verschiedenen Behörden zusammengestellt, dass Verzögerungen bei der Umsetzung der Roadmap ausmachen soll, so Nešković.

"Politisches Spiel"

Die Produzenten sind weniger hoffnungsvoll. „Ich glaube nicht, dass sich unsere Politiker bemühen, die sind so stark mit anderen Problemen beschäftigt. Das ganze ist ein politisches Spiel", sagt Biberović, der besonders besorgt ist, weil gerade die Handelsbeziehungen mit Kroatien ausgezeichnet sind. Wer oder was sind aber Schuld an der Misere?

„Das EU-Veterinäramt beanstandet, dass Bosnien noch kein System aufgebaut hat, um Hygiene-Standards und Krankheitskontrolle zu garantieren", erklärt Vesna Malenica von der bosnischen NGO Populari. Es fehle einerseits an Gesetzen, andererseits an Strukturen. Erst kürzlich wurde zwar ein Gesetz zur Lebensmittelsicherheit vom Minsterrat angenommen, doch es fehlt die Umsetzung, die für die EU zählt. Schuld an den Verzögerungen ist auch die Kompliziertheit des Staates Bosnien-Herzegowina. Vieles ist in Bosnien-Herzegowina seit dem Krieg auf der Ebene der beiden Landesteile geregelt. Die EU verlangt aber, dass Veterinärangelegenheiten auf gesamtstaatlicher Ebene bearbeitet werden. „Der Bundesstaat ist von den Berichten aus den Landesteilen abhängig und die werden nicht regulär geliefert. Man muss dauernd hinterher telefonieren", erzählt Malenica.

Dass es nicht möglich ist, dass bosnische Hendl- und Eier-Produzenten ihre Produkte im EU-Nachbarland verkaufen können, ist ein Symptom einer größeren Krankheit: Die Funktionalität des Staates wird aus politischen Gründen untergraben. Die Föderation (der größere Landesteil) hat zehn Kantone mit dutzenden Ministerien - vieles bleibt in dem Wirrwarr stecken. Und die Republika Srpska (der kleinere Landesteil) habe zunehmend Autonomie geschaffen, um zu zeigen, dass der Gesamtstaat nicht funktioniere, erklärt Malenica. Niemand wisse, wer für was zuständig sei. „Und das schafft Raum für Unverantwortlichkeit. Jede Institution hofft, dass es die andere macht und sie beschuldigen sich gegenseitig." Ebenso gäbe es einen Mangel an Fachkräften, die die Inspektionen durchführen könnten. „Wir werden nicht nur Geld, sondern auch Arbeitsplätze verlieren", warnt Malenica. Sie ist sich sicher, dass die Roadmap bis Dezember nicht umgesetzt werden kann.

Nachteile für Kroatien

Bei den EU-Standards, die bosnische Produkte erfüllen müssen, um nach Kroatien eingeführt werden zu können, handelt es sich etwa um Grenzwerte bei Rückständen von Tierarzneimitteln. Notwendig sind dafür auch Laboratorien, in denen die Produkte getestet werden können.

Auch Kroatien wird voraussichtlich Nachteile beim Austritt aus dem Cefta-Abkommen haben. Die kroatische Nationalbank HNB geht von einem Exportrückgang von 0,1 bis 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) oder von bis zu 100 Millionen Euro aus. Es geht vor allem darum, dass teurere, heimische Produkte durch billigere Produkte aus der EU verdrängt werden könnten. (Adelheid Wölfl, derStandard.at, 5.12.2012)