Der R5 war nichts weniger als eine Revolution mit Ansage. Verneigung vor einem außergewöhnlichen Kleinformat
Gleich vorab ein kleiner Dämpfer für alle Frankophilen: Der Renault 5 ist streng genommen kein französisches Auto. Der possierlich-praktische Kleine, den es hier zu feiern gilt, entstand im Mutterland des eklektischen automobilen Feudalbarocks: den Vereinigten Staaten von Amerika.
Dort nämlich, genauer an der New York University, unterrichtete Mitte der 1960er der Franzose Bernard Hanon als Professor für Management. Die produktive Auszeit dürfte dem Renault-Mitarbeiter gut getan haben. Denn als er in die Heimat zurückkam, hatte er eine revolutionäre Projektidee im Gepäck, die im Wesentlichen von zwei Überzeugungen geprägt war: Die Jungen wollten, wenn es um Mobilisierung ging, etwas Unkonventionelles. Und: Die Gesellschaft stand vor tiefgreifenden Umbrüchen. Der Mann sollte, was den letzten Punkt betraf, Recht behalten. Teil eins seiner Visionen führte direkt zu einem Auto, an dem rein gar nichts dem Zufall überlassen wurde. Die knallhart durchkalkulierte Revolution: der Renault 5.
1967 machte sich ein Team unter dem zum Projektleiter avancierten Bernard Hanon daran, die Idee mit Praxistauglichkeit anzureichern. "Projekt 122" hieß das Ding, das in der Renault-Zentrale in Boulogne-Billancourt Gestalt annahm. Bei der Definition von Design und Technik gingen die Franzosen auf der Suche nach dem unkonventionellen Auto einen nicht minder unkonventionellen Weg: Sie ließen sich nicht, wie damals noch üblich, von Ingenieuren jeden Drehhebel diktieren, sondern griffen mit gezielten Befragungen die Meinung der potenziellen Käufer ab.
Um die geforderte Modernität des Äußeren zu gewährleisten, ließ Hanon Michel Boué, den Jüngsten in seiner Designer-Truppe ran. Der brauchte gerade einmal zwei Entwürfe, um ein Automobil zu kreieren, das alle Anforderungen und Konzeptideen aufs Geschmackvollste in sich vereinte.
Geschickt wurden auf 3,51 Metern knallharte Praxisanforderungen kaschiert (die schmalen Heckleuchten garantierten eine große Kofferraum-Klappe samt niederer Ladekante, die verhältnismäßig langen Türen ausreichend Platz für den Durchstieg in Reihe zwei). Die Stoßstangen aus Plastik - eine Premiere - waren nicht nur robust und günstig, sondern spendierten dem Winzling einen richtig zukunftsträchtigen Auftritt.
Programmierter Hit
Im Innenraum ging's großzügig weiter, zumindest was die Raumverhältnisse betraf. Passagiere und Gepäck (umlegbare Rückbanklehne!) hatten mehr Platz, als in mancher Mittelklasselimousine.
Abgerundet wurde das Paket mit einer unverschämt sympathisch gezeichneten Front, deren Scheinwerferpaar treuherzig und quickfidel in die sich verändernde Welt blickte. Allein: Auch die freundliche Front war, wie die gesamte Optik, das nüchterne Ergebnis akribisch ausgewerteter Kundenbefragungen. Vor 40 Jahren debütierte das eiskalt auf den Massengeschmack ausgerichtete Gerät am Pariser Salon - und man staunte nicht schlecht. Der Renault 5 hatte Charme und Chic - die Kundschaft war verzückt, die Konkurrenz verstört.
Alles drin, alles dran
Letztere hatte gegen den modernen Däumling wenig aufzubieten. Austin Mini und die Fiat-Gang (500, 127, 850) wirkten nachgerade antik, ein Citroën 2CV wie ein Gruß aus der Steinzeit. Die Japaner standen in Europa noch im Rang von Exoten. In Auto-Deutschland hingegen schlummerten technikverkrampfte Ingenieure weiter vor sich hin. Modernes, praktisches Fließheck? Aus Bundesrepublik Wirtschaftswunderland? Frach doch drüben in der Zone, du Kommunist.
Die Konsequenz: Ab Anfang 1973 überfluteten die Franzosen mit dem R5 die europäischen Märkte. Vor allem Frauen und die Jugend griffen freudig zu. Dabei war der von Werbern mit den Rufnamen "Supercar" und "Kleiner Freund" versehene Wagen nicht unbedingt ein Supersonderangebot. So fuhr in Österreich die Basis-Version L um 49.950 Schilling vom Hof - Simca 1000, Fiat 500 oder ein Käfer 1200 waren da deutlich günstiger. In Sachen Technik und Auftritt konnten die jedoch nicht mit. Zwar gab es bei den Motoren rustikale, aus dem R4 bekannte Ware (4-Zylinder mit 36 und 44 PS) und der Krückstock in der Mittelkonsole verwies anfangs auf eine bestenfalls brave Revolverschaltung.
Ein Freund hebt ab
Das Fahrwerk hingegen servierte dank Einzelradaufhängung rundum einen Komfort, der bis dahin eine Klasse höher anzutreffen war. Dazu gabs Frontantrieb und Scheibenbremsen vorne - auch eine Seltenheit in der Einstiegsliga. Sänftengleich, wendig und narrensicher zu manövrieren, wieselte der R5 durch die Städte und gab auch Überland eine passable Figur ab. Dank des geringen Leergewichts (775 Kilo) sind sogar mit dem 44-PS-Motörchen Tempi bis maximal 137 km/h möglich.
Bereits kurz nach dem Start machten sich die Franzosen daran, den erfolgreichen Superspatz zu verfeinern. Ein ausuferndes Farbenangebot (von pastellgelb bis brachialorange) und die Option Fetzndachl ließen der Individualisierung freien Lauf. Bald schon gabs eine Art Luxusversion, den TS mit 64 PS. Der hatte den Schalthebel schon an der richtigen Stelle, Gurte, Heckscheibenheizung, einen rechten Außenspiegel und sogar einen Drehzahlmesser serienmäßig. Die in jener Zeit übliche Brutalisierung durch den Einsatz in diversen Rennsport-Ligen machte der Kleine willfährig mit.
Der Blähspatz
1975 kam die "Alpine"-Version, ein Kraftzwerg mit 93 PS, der die 840 Kilo in 10 Sekunden auf Tempo 100 schoss. Mangels Fahrwerk war das Ding leidlich schwierig zu bewegen. Dessen ungeachtet stopfte Renault 1980 einen 108-PS-Turbomotor in den Wagen. Der trug noch einen Hauch Normalität in sich und galt als solide Einsatzwaffe in den unteren Rennligen. Richtig bizarr war hingegen Renaults Versuch, den Superspatz in ein Supermonster des Rallyesports zu verwandeln: den Renault 5 Turbo. Dem blähten 160 PS die Hinterbacken. Der 4-Zylinder-Turbo thronte hinter dem Fahrer, der Tempo 100 in unfassbaren 6,9 Sekunden zu exekutieren vermochte. 60 Prozent des Gewichts ruhten hinten, und damit auf der Antriebsachse. Und tschüss Golf GTI.
Auf den Rallyestrecken dieser Welt kam der Testosteron-Spatz nur mittelprächtig an: Immerhin drei FIA-WM-Läufe holten die Franzosen Anfang der 1980er. Als in der Rallye-Gruppe B - der Kleine plusterte sich mittlerweile auf 408 PS - an einer Allrad-Version kein Weg mehr vorbeiführte, war im Jahr 1986 Schluss mit Backenturbo.
Schlau, piffig, erfolgreich
Zwei Jahre zuvor war der Zivil-R5 der ersten Generation ausgelaufen. Obwohl eine völlige Neuentwicklung, interpretierte der Neue die Looks des Vorgängers weiter. Nur eben glatter, vernünftiger und erwachsener. Auch er wurde - trotz mittlerweile harter Konkurrenz - ein Erfolgstyp.
Nach sieben Jahren Bauzeit bekam der Renault 5 eine völlige Redefinition des Themas Kleinwagens an die Seite gestellt, den Clio. 1994 schließlich, nach insgesamt 22 Produktionsjahren und über neun Millionen verkauften Einheiten war dann Schluss für den R5 - einen der größten Erfolge der Automobilgeschichte. Ein schlauer, pfiffiger Charmebolzen hatte ausgedient. Und die Deutschen? Versuchten mit einem Opel Corsa "Fußball-Weltmeisterschafts-Edition" oder dem VW Polo "Super Bunny" auf peppig zu machen. Auch originell. (Stefan Schlögl, derStandard.at, 7.12.2012)