Abwegig tolle Atolle

Foto: Judith Schalansky

Sandy Island ist ein fantastischer Name für eine Insel, wie sie im Buche steht – oder in dem von Judith Schalansky stehen könnte. Ihr vom Feuilleton eh schon begeistert aufgenommener Atlas der abgelegenen Inseln wird durch das Eiland jedenfalls wieder aktuell. Manche Inseln müssen nämlich nachträglich aus dem Repertoire der Realität gestrichen werden. "Entdeckt" hat Sandy Island ein französischer Seefahrer 1792, jahrelang bestätigt wurde deren Existenz von Quellen wie CIA und Google. Ein paar Australier sind nun hingefahren und haben nachgeschaut: Da ist kein Sandy Island. Für Schalansky und ihre kommentierten Inselkarten mit dem Untertitel Fünfzig Inseln, auf denen ich nie war und niemals sein werde sind solche Details aber unwichtig. Wenn sie etwa die Südlichen Keelinginseln (Bild) für den Atlas aussuchte, dann deshalb: Über das tolle Atoll kann sie erzählen, dass auch Charles Darwin es toll fand. "Ich bin froh, dass wir die Inseln besucht haben", zitiert sie ihn. Wir sind auch so froh, dass es euch gibt, liebe Keelings – zumindest womöglich.

Judith Schalansky: "Atlas der abgelegenen Inseln".

€ 35,- / 143 Seiten. Mareverlag, Hamburg 2009

Genaue Brathendl-Flugrouten

Foto: Steffen Hendel

Ist das Schlaraffenland eigentlich ein Zustand oder ein klar umgrenztes Territorium, für das es detaillierte Wanderkarten geben sollte? Letzteres scheinen zum Spaß die beiden Literaturwissenschafter Werner Nell und Steffen Hendel angenommen und gleich in größeren Maßstäben realisiert zu haben. Im für Atlanten bekannten Verlag Meyers gaben sie den Atlas der fiktiven Orte heraus. Mit detaillierten, wirklich praktischen Karten für Utopia, Camelot oder Mittelerde – und natürlich für das Schlaraffenland. Illustriert wurde die Entdeckungsreise zu erfundenen Schauplätzen, wie es im Untertitel heißt, von Hendel, der sich wirklich Mühe gab, serviceorientiert zu arbeiten: Dank der akribisch erstellten Legende und genau eingezeichneten Positionen aller Brathendl-Flugrouten und Champagner-Labestationen findet man sich im Schlaraffenland wohl tatsächlich noch ohne GPS zurecht. Ein durch und durch praktisches Werk für Weltenbummler, die es nicht kümmert, dass die Schlaraffenland-Karte (Bild) Magen und Darm aus einem anatomischen Atlas zeigt.

Nell/Hendel (Illustrationen): "Atlas der fiktiven Orte". € 30,80 / 160 Seiten. Meyers, Mannheim 2011

Weltbewegende Fehler

Foto: Liebeskind

Als Schüler störte den 1971 geborenen Belgier Frank Jacobs nur eines an seinem Atlas: Die meisten Angaben darin waren korrekt und also langweilig. Bald begann er gezielt nach Fehlern auf Karten oder schlicht nach amüsanten Irrtümern der Geschichte zu suchen. Seit 2006 betreibt er den empfehlenswerten Blog "Strange Maps" (http://bigthink.com/blogs/strange-maps), seit 2011 einen weiteren für die New York Times zur politischen Dimension der Kartografie. Im September 2012 ging er dann den Weg zurück in die Welt der Haptik, publizierte 53 komische kartografische Abbildungen zwischen Leinendeckeln und kommentierte sie. Sein Buch Seltsame Karten – Ein Atlas kartographischer Kuriositäten schafft dabei vor allem eines: Es ist ein repräsentativer Querschnitt jener Karten, die – aus Unwissenheit oder gezielt falsch erstellt – in der echten Welt etwas veränderten. Beispiel: Sein belgischer Landsmann Gerhard Mercator, der heuer vor 500 Jahren geboren wurde, zeichnete "die erste falsche Karte des wahren Nordens" (Bild) vom Pol als Whirlpool mit vier Inseln.

Jacobs/Müller (Übersetzung): "Seltsame Karten". € 30,70 / 125 Seiten. Liebeskind, München 201 (Sascha Aumüller, DER STANDARD, Rondo, 7.12.2012)