Der Verein LOK möchte für seine Klienten ein selbstbestimmtes Leben außerhalb psychiatrischer Strukturen mit individueller Betreuung möglich machen.

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Was ist normal? Was ist krank? Wann ist man gesund? Wann benötigt man Hilfe? - Solche und ähnliche Fragen sind so alt wie die Menschheit, und doch variieren die Antworten darauf erheblich, je nach Zeitgeist und medizinischen Möglichkeiten. Eine mögliche Antwort gibt der Verein LOK, der "Leben ohne Krankenhaus" heißt und genau dies seinen Klienten ermöglicht: Ein möglichst selbstbestimmtes Leben außerhalb psychiatrischer Strukturen mit individueller Betreuung.

Maria Schernthaner ist ehemalige Geschäftsführerin und nunmehriges Vorstandsmitglied im Verein LOK. Die Historikerin begründete 1989 den Verein mit und arbeitete zunächst selbst als Betreuerin, um sich mit der Arbeit von Grund auf vertraut zu machen, und später als Geschäftsführerin.

"Nicht gescheitert"

Konzept und Grundüberzeugung des Vereins lassen sich folgendermaßen zusammenfassen: Grundsätzlich kann jeder Mensch außerhalb des Krankenhauses leben, wenn er entsprechend betreut ist. An die eigenen Grenzen stieße man, so Schernthaner, wenn jemand pflegebedürftig werde. Ansonsten sei das Konzept des weitgehenden autonomen Lebens mit mehr oder weniger Betreuung aber weitgehend aufgegangen: „Wir haben uns damals einer Gruppe von schwierigen Menschen angenommen, die in den gängigen Strukturen als nicht betreubar galten, und wir sind nicht gescheitert".

Wohngemeinschaften und Hausbesuche

Derzeit betreut der Verein LOK rund um die Uhr fünf Wohngemeinschaften und weitere zwei hundert Personen, die von ihren Betreuern mehrmals pro Woche in ihren Wohnungen besucht würden. Die professionelle und vertrauensvolle Beziehung zwischen Betreuer und Klient sei entscheidend: „Der Klient muss Vertrauen zum Betreuer fassen. Sonst lässt er ihn ja nicht in seine Wohnung oder räumt mit ihm gemeinsam die Wohnung auf."

Nicht noch eine fade Filmwoche

Vom 12. bis 16. November organisierte der Verein zum dritten Mal ein Filmfestival mit dem Titel „Psyennale". Im Topkino in Wien wurden Filme aus aller Welt gezeigt, die psychische Krankheiten, Menschen in Ausnahmesituationen und Grenzerfahrungen zum Thema haben. Zum Beispiel der kanadische Film "An ihrer Seite", der zeigt, wie zwei Ehepaare mit der Diagnose Alzheimer umgehen. „Ein schöner Kontrapunkt zu Hanekes ‚Amour'", schmunzelt Maria Schernthaner. „Das Ende ist in diesem Film jedenfalls besser als bei Haneke".

Bei der Auswahl der Filme für die "Psyennale" waren Klienten beteiligt. Auch der Titel „Psyennale" geht auf die Idee eines Klienten zurück: "Wir wollten nicht einen faden Namen haben wie ‚Filmwoche'", erzählt Schernthaner lächelnd. Den Organisatoren des Filmfestivals ist es ein Anliegen gewesen, die ganze Palette an Krisen, Phasen, Problemen und Erkrankungen, die man aus der Praxis kennt, aufzuzeigen, aber auch die Stärken und die Ressourcen, die Menschen in Krisensituationen entwickeln.

Das Ziel der "Psyennale" sei es, in der breiten Öffentlichkeit ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen Menschen sind wie alle anderen, dass man ihre Probleme bis zu einem gewissen Grad auch verstehen könne oder ansatzweise selbst kenne, und dass es psychische Ausnahmezustände gibt, bei denen man nicht sofort von einem Krankheitsbild sprechen müsse.

Kein therapeutischer Ansatz

Was LOK von anderen Betreuungseinrichtungen unterscheidet, ist der fehlende therapeutische Ansatz. Schernthaner erklärt: "Bei uns ist nicht so, dass wir sagen, jetzt kommt jemand zu uns, dann wird er gesund und dann wird er entlassen. Die Alltagsbegleitung findet so lange statt, wie es notwendig ist. Es gibt aber keinen Druck, zur Normalität überzugehen." Mit dem Fonds Soziales Wien, bei dem um Betreuung angesucht wird, habe es noch keine Probleme gegeben. Wichtig ist der radikal individuelle Ansatz: "Wir schauen uns jeden Menschen ganz genau an, und dann entwickeln wir ein Betreuungskonzept. Unsere Begleitung verstehen wir nicht als Therapie oder Behandlung. Bei uns muss niemand gesund werden". (Mascha Dabić, 4.12.2012, daStandard.at)