Benedikt Lutz: Wichtiger ist das informelle Lernen, das anlassbezogen stattfindet.

Foto: Donau Uni

Wissen wird als Ressource im modernen Produktionsbetrieb immer zentraler. Wie man die Wissensbestände seiner Mitarbeiter nutzbar machen kann, welche Form der Dokumentation man dabei wählen sollte und ob es sich lohnt, externe Beratung hinzuzuziehen, erklärt der Lehrgangsleiter für Wissensmanagement an der Donau-Universität Krems, Benedikt Lutz, im Gespräch mit derStandard.at.

derStandard.at: Wozu braucht ein Unternehmen Wissensmanagement?

Lutz: Dass das Thema überhaupt relevant ist, ist ein Zeichen der sogenannten Wissensgesellschaft. Wissen wird in den Unternehmen als Ressource gesehen, als wichtiger Produktionsfaktor. Das Problem für Firmen ist allerdings, dass das Wissen zum Großteil in den Köpfen der Leute ist. Das Know-how der Mitarbeiter kann also ein wichtiger Wettbewerbsvorteil sein, ist aber stark mit dem Menschen verbunden, der dieses Wissen besitzt.

derStandard.at: Was kann ich als Unternehmen tun, um das Wissen aus den Köpfen der Leute herauszuholen und für das ganze Unternehmen nutzbar zu machen?

Lutz: Die Basis des Wissensmanagements ist die technische Seite, die sehr in die angewandte Informatik reingeht: Wie strukturiere ich Daten, wie benenne ich sie und wie mache ich Dokumente leicht auffindbar. Damit Wissen im Unternehmen aber überhaupt fließen kann, müssen Sie Randbedingungen schaffen, damit das Wissen dort zu Verfügung stehen kann, wo man es gerade braucht.

Der Slogan "Wissen ist Macht" ist in klassischen Unternehmen leider immer noch ein großes Thema: Oft ist es für einzelne Mitarbeiter besser, das Wissen zu horten, weil sie dann Spezialisten für das Thema sind und somit unverzichtbar für die Firma. Wenn Wissen aber ungehindert fließen können soll, muss man eine Unternehmenskultur schaffen, in der das Teilen von Wissen Macht ist.

derStandard.at: Wie schaffe ich optimale Bedingungen für die Wissensweitergabe?

Lutz: Es gibt ganz einfache Methoden. Gerade im Zuge der Pensionierungswelle macht es beispielsweise Sinn, Menschen, die das Unternehmen verlassen werden, systematisch zu begleiten und so die Wissensübernahme zu sichern. Auch strukturierte Interview-Techniken oder Fragebögen haben sich bewährt, um den Abgang von Wissen zu verhindern. Das gilt natürlich auch für Projekte: Eine strukturierte Übergabe sorgt immer dafür, dass nur wenig Wissen verloren geht und der Nachfolger es leichter hat.

derStandard.at: Was ist mit dem Wissen, das im Unternehmen verbleibt? Kann ich das auch nutzbar machen?

Lutz: Sie können Ihre Leute ganz klassisch auf Kurse oder in Schulungen schicken. Es hat sich aber gezeigt, dass die Umsetzung von diesem formalen Lernen im Unternehmen oft nicht so gut funktioniert. Wichtiger ist das informelle Lernen, das anlassbezogen stattfindet. Ein Konzept, das sich bewährt hat, sind "communities of practice", wo gerade in großen Unternehmen abteilungsübergreifend Leute vernetzt werden, die ähnliche Dinge tun oder an ähnlichen Projekten arbeiten. Auf diese Weise kommt man informell an Hilfestellungen zu speziellen Themen.

derStandard.at: Kleine Unternehmen haben oft nicht so viele Leute, die sich in solchen Communites zusammenschließen können. Wie können diese ihre Wissensweitergabe optimieren?

Lutz: Eine Methode, die für KMUs sehr brauchbar ist, sind so genannte "lessons learned": Am Ende eines Projektes reflektiert man systematisch, was gut geklappt hat, was weniger, und was man daraus lernen kann. Die Firma entwickelt sich so in Richtung lernendes Unternehmen, vor allem, wenn sie in diesen Besprechungen auch die emotionale Ebene mit einbezieht, also die erlebte Geschichte der Leute, die im Projekt mitgearbeitet haben, nicht nur die nackten Daten und Zahlen.

derStandard.at: Ist es sinnvoll, dieses Wissen auch zu dokumentieren?

Lutz: Die Frage, die man sich bei der Dokumentation immer stellen muss, ist folgende: Wer liest das und wie kann die Organisation daraus lernen? Es hat keinen Sinn, alles Wissen immer zu externalisieren, da erzeuge ich Datenfriedhöfe. Wenn ich Prozesse dokumentiere, aber die gelebten Arbeitsweisen völlig andere sind, weil sich die Leute die Dokumente ohnehin nicht anschauen, haben Sie sich die ganze Arbeit völlig umsonst gemacht. Ein häufiger Ansatz ist, das Wissen zusammenzufassen, zu verdichten und in Form von so genannten "patterns" in anschaulicher Weise zusammenzuführen.

derStandard.at: Was ist bei der Dokumentation von Wissen sonst noch wichtig?

Lutz: Es zeigt sich immer wieder, dass beim Dokumentieren gerade die sprachliche Verständlichkeit und Aufbereitung ganz entscheidend ist. Denken Sie bei der Dokumentation an Ihre Adressaten, auch hinsichtlich der Fachsprache - es sollte für alle verständlich sein, was hier dokumentiert wurde. Ganz wichtige Punkte sind auch die Usability und die visuelle Aufbereitung.

derStandard.at: Beschränkt sich modernes Wissensmanagement auf die vier Wände meines eigenen Unternehmens?

Lutz: Gerade bei Klein- und Mittelunternehmen ist das Vernetzen über die Unternehmensgrenzen hinweg sehr wichtig. Es kann vorkommen, dass ich für einen Auftrag mit Unternehmen zusammen arbeiten muss, die Konkurrenten sind, sich für dieses spezielle Projekt aber gegenseitig brauchen. Gut organisiertes Wissensmanagement kann in diesem Fall dafür sorgen, dass ich mein Wissen gezielt teilen, und die Kooperationen kommunikativ problemlos ablaufen kann.

derStandard.at: Ab wann zahlt es sich für Unternehmen aus, einen externen Spezialisten heranzuziehen?

Lutz: Zur Analyse von Stärken und Schwächen kann es teilweise sinnvoll sein, jemanden von außen zu holen, oder auch, wenn Sie technische Systeme einführen. Das muss aber immer auch von innen mitbegleitet werden. Generell kann man ja nicht sagen, so, jetzt führen wir Wissensmanagement ein, das ist Unsinn. Die Frage ist vielmehr, wie können wir den Umgang mit Wissen in unserem Unternehmen verbessern, und da ist eine externe Hilfe ganz nützlich, die gezielte Fragen stellen kann. (Barbara Oberrauter, derStandard.at, 9.12.2012)