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ORF 2011 im Zigarrenklub: Peter Schöber und Alexander Wrabetz

Foto: APA/Hochmuth

Nicht einmal an der "Presse" geht die Zeit spurlos vorüber, aber leicht tut sie sich dabei nicht, die Zeit. In der Sonntagsnummer rückte der Chefredakteur auf Seite 1 höchstpersönlich aus, um das Blatt in der das konservative Gewissen aufwühlenden Problematik der Sexualaufklärung für Schulkinder auf bewährter Spur zu halten. Anlass war die behördliche Broschüre "Ganz schön intim" ad usum Delphini sowie als Lebenshilfe für Lehrer und Eltern. Der Gefahr, als Hinterwäldler in Sexualfragen durchschaut zu werden, wich er noch elastisch mit dem Satz aus: "Liest man die aufwendig produzierte und bemüht modern gestaltete Broschüre, wundert man sich auf vielen Seiten über die ganze Aufregung. Auch dass Werner Amon" (ÖVP ) "und die FPÖ nicht gerade wie die besten Anwälte einer zeitgemäßen Gesellschaftspolitik wirken", vermochte er noch zu durchschauen, ohne sich gleich selber als Anwalt "einer zeitgemäßen Gesellschaftspolitik" zu outen. Dass in der Broschüre die Verklärung eines christlich grundierten Patriarchats zu kurz und die Darstellung anderer - skandalöserweise tatsächlich existierender - Lebensformen zu lang geraten sei, ließ Amon "Umerziehung" wittern und war auch dem Chefredakteur "etwas zu intim". Aber statt sich zu freuen, dass sich "das Bild der klassischen Mutter-Vater-Kind-Familie als erstrebenswertes Ideal hartnäckig hält", rief dies nicht nur ihn auf den Plan. "Dass dies Kritik all jener hervorruft, die privat in diesem Modell leben, kämpfen und häufig auch scheitern, ist logisch."

Dies ist zwar weder "logisch", noch entspricht es in der behaupteten Allheit den Tatsachen, sollte aber nur den Stoßseufzer des "Presse"-Chefs begründen: "Kann es nicht die Aufgabe von Eltern sein aufzuklären oder zu vermitteln, was gut und was nicht gut ist?" Leider hat er nicht preisgegeben, wo und wie er selber aufgeklärt wurde. Hätte er bloß auf den Sonntags-"Kurier" gewartet, dann wäre ihm spät, aber vielleicht nicht zu spät, Aufklärung über die Geheimnisse des Lebens doch noch zuteilgeworden.

Da stattete der "Kurier" "späten Dank an Dr. Sommer", den legendären Aufklärer in "Bravo" ab und fragte Prominente nach Ort und Umständen ihrer Aufklärung. Das traute Heim spielte dabei eine eher untergeordnete Rolle.

Es sagte Lukas Perman, "Dancing-Star": "Mich hat weder zu Hause noch in der Schule jemand aufgeklärt."

Manuel Ortlechner, "Austria-Kapitän": "Ich wurde über diverse Jugendmagazine und Freunde aufgeklärt."

Daniela Fally, "Opernsängerin": "Bei mir hat die ,Bravo' viel übernommen und mich aufgeklärt."

Niki Lauda, "Ex-Rennfahrer": "Da ich aus einer wohlerzogenen Familie stamme, wurde ich nie richtig aufgeklärt. Ich habe mir alles selber beibringen müssen."

Toni Faber, "Dompfarrer": "Ich wurde gut katholisch, nämlich gar nicht, aufgeklärt. Meine Mutter versuchte mich mit 16 aufzuklären, indem sie mich vor der Gefährlichkeit der Frauen und deren Absichten warnte." Gut gemeint, aber etwas zu spät.

Sandra Pires, "Sängerin": "Ich bin bis heute nicht aufgeklärt worden, ich lass mich jedes Mal aufs Neue überraschen."

Claudia Stöckl, "Radio-Moderatorin", konnte sich - wenigstens im Elternhaus - auf "drei ältere Schwestern" berufen, "die haben die Aufklärung für mich erledigt". Allein Arabella Kiesbauer fand in "Großmutter und Mutter immer sehr offene Menschen" vor. Angesichts einer solchen elterlichen Aufklärungsrate lasse man sich "jedes Mal aufs Neue überraschen", wenn der Chefredakteur der "Presse" den Anwalt "einer zeitgemäßen Gesellschaftspolitik" gibt.

Nicht nur mit der traditionellen Familie geht es bergab. Montag musste "Die Presse" auch noch "Das Ende des Wiener Zigarrenklubs" vermelden. Es handelt sich angeblich um "das Ende einer gesellschaftlichen Institution". In sein kurzes Leben gerufen von Wolfgang Rosam als Chef der PR-Agentur Publico "nach Vorbild eines englischen Herrenklubs, wobei sich hochkarätige Sprecher als probates Zugpferd erwiesen, um die gediegenen Räume in der Neulinggasse 37 mit ihren roten Wänden und grünen Chesterfield-Sofas, ihrer schwarzen Bar und ihrem 'heißen Stuhl' zu füllen".

Offenbar vermögen die "hochkarätigen Sprecher als probates Zugpferd" den "heißen Stuhl" nicht mehr zum Dampfen zu bringen. "Einst eine Königsidee", passe der Klub laut Managerin "mit seiner 'unglaublich maskulinen Semiotik nicht mehr zu uns und in die Zeit'". Ihm geht es wie der traditionellen Familie. Traurig, aber an den Zigarren kann es nicht gelegen sein. Günter Traxler, DER STANDARD, 4.12.2012)