Wien - Die Doku Shadows from my past ist ziemlich eigenartig: Das Ehepaar Kaufman aus New York arbeitete gut 15 Jahre daran. Ausgangspunkt bildeten Briefe aus der NS-Zeit, die Gita Kaufman, 1935 geboren, im Nachlass ihrer Mutter fand. Die Korrespondenz innerhalb der Großfamilie dreht sich um Flucht, um das Bitten um Hilfe. Die Musiklehrerin ging mit ihrem Mann Curt Kaufman diesen Schatten aus der Vergangenheit nach - eben in Wien, wo sie ihre Kindheit verbracht hatte.

Die Kernfrage lautete, ob sich Österreich wirklich verändert - oder nur eine neue Maske aufgesetzt hat. Aber beim Recherchieren taten sich immer wieder neue Aspekte und Abgründe auf: Das Ehepaar beschäftigte sich auch mit der Waldheim-Affäre, dem Spiegelgrund, der Restitution, dem Antisemitismus in der katholischen Kirche und so weiter. Je tiefer die Kaufmans in das gewaltige NS-Dickicht eintauchten, desto mehr verirrten sie sich darin.

Hinzu kommt, dass man dem Ehepaar in Wien besonders wohlwollend gegenüberstehen wollte: Alle, die etwas zu sagen hatten oder haben konnten, stellten sich als Interviewpartner zur Verfügung. So aufregend es sein mag, Heinz Fischer, Wolfgang Schüssel, Christoph Schönborn u. a. sprechen zu dürfen: Das Material wurde immer mehr, das Ehepaar verlor den Faden, fand kein Ende.

Das ÖFI und der Filmfonds Wien hatten aber für das Amateurprojekt - aus kaum nachvollziehbaren Gründen - Fördergelder genehmigt. Am 6. Dezember 2011 starb Curt Kaufman. Nun schloss die Witwe das Projekt ab: Im Rahmen des Festivals This human world erlebte die Doku am Dienstag, 4.12.,  im Filmcasino ihre Premiere.

Die meisten Interviews stammen aus der Zeit vor oder rund um das Jahr 2000. Aus einer Zeit, als Kurt Scholz Präsident des Stadtschulrats und Heinz Fischer jener des Nationalrats war. Als der Kanzler Franz Vranitzky hieß. Als Wolfgang Schüssel noch Mascherl trug. Und so tauchen auch etliche Persönlichkeiten auf, die längst verstorben sind: Hubertus Czernin etwa, Kurt Waldheim, Simon Wiesenthal und Jörg Haider.

Shadows from my past ist daher ein doppelter Rückblick: nicht nur auf die NS-Zeit, sondern auch auf eine Zeit, als das offizielle Österreich davon abging, sich als erstes Opfer des Nationalsozialismus zu sehen, sondern auch eine Mitschuld eingestand. Um dies augenfällig zu machen, wären in der Doku allerdings Hinweise auf die Entstehungszeit der Interviews notwendig gewesen. Doch darauf wurde verzichtet. Dass Czernin, Haider und Waldheim tot, dass etliche Aussagen überholt sind: Das wird einfach verschwiegen.

Natürlich: Der Versuch, das NS-Regime in 90 Minuten darlegen zu wollen, kann nur scheitern. Derart dilettantisch aber muss eine Doku nicht ausfallen. Auch wenn es berührend ist, wie Gita Kaufman ihre Spuren sucht. (Thomas Trenkler, DER STANDARD, 3.12.2012, red.)