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Deutsche Autoren? Ingeborg Bachmann ...

Foto: APA/IMAGNO/Harry Weber

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... und Thomas Bernhard.

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Wien - 2002 war für Johannes Paul II. das "Jahr, vor dem sich Gott ekelte". Und es war das Jahr, das die NZZ zum Jahr der Kanondebatten ausrief. Marcel Reich-Ranicki hatte gerade seine "Heiligenliste" vorgelegt, Profil konterte mit "kuriosen Ketzereien", Frédéric Beigbeder riet in Frankreich zur exzentrischen Klassikerandacht, und in Italien hatten Printmedien begonnen, vermeintliche Weltliteratur in Buchform zusammen mit ihren Zeitungen zu verschenken.

Seither ist es um die Prediger von Pflichtlisten ruhiger geworden, und auch bei einer von Daniela Strigl moderierten Diskussion im Wiener Literaturhaus über zwei soeben erschienene, bis in die Gegenwart reichende österreichische Literaturgeschichten ging es - selbst wenn Kanonfragen natürlich bei solchen Unternehmungen immer eine Rolle spielen - mehr um die Kür als um die Pflicht.

Auch das Thema der deutschlandzentrierten Literaturgeschichtsschreibung wurde nur kurz angerissen. So werden etwa Thomas Bernhard, Ingeborg Bachmann, Robert Musil beim großen Nachbarn gern als deutsche Autoren gesehen. Vielleicht, so Diskussionsteilnehmer Franz Schuh, sei das Österreichische genau das, was man in Deutschland nicht verstehe. Elfriede Gerstl zum Beispiel sei in Deutschland "nicht vermittelbar".

Doch was ist das Österreichische an der österreichischen Literatur? Sehr verallgemeinernd gesagt, ein großes Sprachinteresse, eine deterministische Prägung durch den Katholizismus und eine gewisse Menschenfeindlichkeit, meinte Helmut Gollner, der zusammen mit Klaus Zeyringer den 850 Seiten starken Band Eine Literaturgeschichte. Österreich seit 1650 (Studienverlag, € 39,90) präsentierte.

Wie Zeyringer betonte Winfrid Kriegleder, der soeben Eine kurze Geschichte der Literatur in Österreich (Praesens, 650 Seiten, € 28, 50) vorlegte, dass es sich bei Österreich geografisch um ein im Laufe der Zeit höchst inkonsistentes Gebiet handelt. Und um einen Kulturraum, der von verschiedensten Einflüssen geprägt wurde - auch literarisch.

So legen beide Bände primär Wert auf das Aufzeigen und die Konstruktion von Zusammenhängen. Bei Zeyringer/Gollner zuweilen in Form von Anekdoten. So nahm Karl Kraus 1922 die Geburtstagsfeiern bekannter Autoren aufs Korn. Hermann Bahr fragt den gerade 60 Jahre alt gewordenen Schnitzler: "Was meinst Du, lieber Arthur, wieviel wird in hundert Jahren von Dir noch am Leben sein? Und wieviel von mir?" Darauf Kraus: " Das kann ich ihm genau sagen: Die letzten Tage der Menschheit. Ach so, das ist ja nicht von Schnitzler und Bahr, sondern von uns allen."     (Stefan Gmünder, DER STANDARD, 1./2.12.2012)