Kleinigkeiten zählen: Kokosnüsse öffnen und schlürfen – weit cooler als der Traumstrand nebenan.

Foto: Katsey

Mitunter klingelt der Kulturschock per Smartphone an. China wäre so ein Fall. Neongrelle Straßenzüge, solide Chopstick-Technik, diverse Variationen von Pak Choi kennt kind ja alles längst. Aber eine facebookfreie Zone nicht. Kids, denen man einen aufregenden Trip in glitzernde Fernost-Metropolen versprochen hat und die sich dort als digitaler Robinson wiederfinden, sehen das gar nicht gern. Adapter, Akku, alles da. Trotzdem: hoffnungslos gestrandet!

Ein schwarzes Loch im Friends-Netzwerk. Dislike! Solche Dramolette können fernreisende Eltern begleiten. Aber da sind aus Kindern längst Jugendliche geworden, die vielleicht schon härtere Reisestrapazen überstanden haben: tropische Schwüle, juckende Insektenstiche, Affenhitze, Impromptu-Camping am Airport, und höllisch scharfe Speisen. Ja, selbst freundliche Einheimische haben ihre Schattenseiten: Wessen blonder Lockenkopf zu oft getätschelt wurde, weiß, wovon die Rede ist. 

Es heißt, Reisen bildet. Kann schon sein. Reisen mit Kindern bildet auch - zunächst einmal Allianzen. Das Wir und die Wirrnis, etwa im Basar, stehen sich schroff gegenüber. Dieser Prozess zieht sich als Konstante durch. Im Idealfall schweißt er zusammen, festigt Familiengefüge. Auf Kinderfernreisen spezialisierte Anbieter wissen, wodurch. Glühwürmchensafari in Malaysia, Übernachten im jordanischen Beduinenzelt, Bali per Chauffeur - so sehen die familiären Touristik-Zuckerln aus. Die Betonung liegt auf Erleben. Überleben inkludiert.

Überleben inkludiert

Denn man könnte an dieser Stelle auch Kinderärzte zitieren, oder Tropenmediziner. Ähnlich beunruhigend klingen beide. Sie sprechen über Dinge wie den Vormarsch der Dengue-Fieber-Mücke und über Äffchen, die plötzlich Tollwut-bissig sind. Stimmt alles. Inklusive des Ärgernisses, dass Malaria-Moskitos auf Kinder besonders stehen. Es ist keineswegs das einzige Detail, das zu denken gibt.

Da wäre die Ein-Jahres-Schwelle: für Kinderärzte eine wichtige Marke, wenn es um Fernreisen mit Kindern geht. Exotische Länder mit einer schlecht ausgebauten medizinischen Infrastruktur, die hohe Chance, einen Durchfall aufzureißen - mitunter geht das fatal zusammen. Selbst Stillkinder unterliegen diesem Infektionsrisiko. Bereits banale Reisediarrhöe - für Erwachsene eine lästige Nebenerscheinung - birgt die unmittelbare Gefahr der Dehydration.

Zählt man strapaziöse Transporte zur mehrere Fahrstunden entfernten Klinik hinzu, plus hohe Temperaturen, mündet das bei Kleinkindern schnell in lebensbedrohende Situationen. Kaum weniger günstig fällt der Blick auf Vorsorgeimpfungen aus: Viele Kinderimpfungen sind noch nicht vervollständigt - Polio etwa. Manche Reiseimpfungen können noch nicht verabreicht werden.

Toast Hawai im Waldviertel

Aber hören wir auf die Kinder selbst. Dass da ein Hauch von Qualtingers Travnicek mitschwingt, bloß auf Kindersitzhöhe gedimmt, nimmt man gerne in Kauf. Honolulu oder Toast Hawaii im Waldviertel - plötzlich relativiert sich das. Kinder mögen lange Flüge nerven, der nächste Unesco-Heritage-Heuler tut es in der Regel nicht. Besser als der Zwiebelturm auf dem Dach ist der Schaschlikspieß in der Hand.

Klar: Mitunter macht die angesteuerte kulturhistorische Attraktion auch durch Kinderaugen betrachtet was her. Wer in Angkor Wat durch gähnende Mäuler meterhoher Dämonenfratzen radelt, ist der Idealversion schon nah. Doch selbst da regt sich ein Verdacht: Hätte das ohne Indiana Jones auch so gut geklappt?

Die wichtigen Kleinigkeiten

Wichtig ist die unmittelbare Umgebung, erzählt mir ... nein, kein Kinderpsychologe, sondern mein Sohn. Fünfzehn Jahre oft und in jeder Richtung um den Globus geschleift: Afrikas wilde Löwen, Halong-Bay-Dschunken, Gauchos im Galopp - alles gesehen. Es sind die Kleinigkeiten, die eine Rolle spielen. Dass man Ohrwaschl-Kakteen braten, Kokosnüsse öffnen und schlürfen kann - weit cooler als der Traumpalmenstrand nebenan. Wie oft man ihn wechselt - diese Frage verdient Beachtung. 

Weniger oft ist jedenfalls mehr. Kinder brauchen länger als Erwachsene, um sich einzugewöhnen. Ihre Eltern müssten es ihnen danken. Länger heißt auch tiefer. Auch wenn der nächste Exkursions-Kick lockt.

Im Schneckenhaus unterwegs

Eine Lösung drängt sich da auf. Es lautet "Prinzip Schneckenhaus" und stellt einen Kompromiss dar. Rollt dieses Schneckenhaus in Form eines Wohnmobils durch herrlich menschenleere Safety-Gestade wie Namibia, Westaustralien oder Patagonien - um so besser.

Das Konzept: den Ort wechseln, wann und so oft man will - also reisen. Und trotzdem einer vertrauten Umgebung die Treue halten. Andere Formen der Fernreise-Gestaltung schlagen in eine ähnliche Kerbe: Das Hausboot wäre eine Option. Oder Eselwandern in den Cevennen. Da sorgt das Grautier für Kontinuität und trägt die Reiselast der Eltern mit - zumindest solange es mag. (Robert Haidinger, DER STANDARD, Family, 30.11.2012)