José Manuel Barroso könnte doch noch Eingang in die Geschichtsbücher finden. Das, sagen Intimkenner des Portugiesen, der unscheinbar wirkt, aber durchaus ehrgeizig ist, sei sein ganz tief verankerter Wunsch.

Seit er 2004 eher unverhofft zum Präsidenten der EU-Kommission gemacht wurde, ist ihm nichts wirklich Großes gelungen. Die EU-Erweiterung nach Osteuropa hat er fix-fertig übernommen. Für das Scheitern des ambitionierten Projekts einer "EU-Verfassung" im Jahr 2005 kann er nichts - Franzosen und Niederländer sagten bei nationalen Referenden Nein.

In Rolle hineinwachsen

Inzwischen war vor allem Krisenmanagement angesagt. Seit Lehmann-Pleite, Finanz- und Bankenkrise haben zudem die Staats- und Regierungschefs das Heft in die Hand genommen. Und die Eurozone ist zum eigentlichen Kraftzentrum der Union geworden, in dem ein Mitgliedsland - Deutschland - stark den Ton vorgibt. Kritiker sagen: gefährlich stark.

In dieser Lage kommt nun Barroso mit seinem jüngsten Drei-Stufen-Plan, der den Weiterbau der Union nach dem Kerneuropamodell schon bis ins Detail umreißt. Viele Einzelelemente davon sind zwar bekannt, wurden seit Monaten diskutiert. Aber zum ersten Mal wurde das zu einem schlüssigen Gesamtkonzept zusammengefasst. Es hat nun den Namen "Barroso-Plan".

Neuer Anspruch einer EU-Regierung

Ratspräsident Herman Van Rompuy ließ einzelne "Testballons" bereits seit Sommer steigen - Stichwort: Die Eurozone soll ein eigenes Budget bekommen. Van Rompuy ist es auch, den die Regierungschefs eigentlich um Vorlage eines Zukunftskonzepts gebeten haben. Das hat ihm Barroso abgenommen. Dieses Vorgehen ist aus zwei Gründen interessant.

Zum Ersten spielt es die EU-Kommission in den Vordergrund - endlich, völlig zu Recht. Sie ist neben dem EU-Parlament die zentrale gemeinsame Institution, in der die höchst unterschiedlichen nationalen Interessen ausgeglichen bzw. gebündelt werden müssen. Die Kommission muss per Definition eine Art "Regierung" sein, die nationalen Egoismen kanalisiert, die kleinen Staaten schützt, auch wenn sie noch so oft attackiert wird.

Zum Zweiten: "Barroso-Plan", das erinnert an das Konzept des früheren EU-Kommissionspräsidenten Jacques Delors, der von vielen zu Recht als einer der Väter der Währungsunion und des Euro beschrieben wird. Er hat 1988 (übrigens auf Anregung des deutschen Außenministers Hans-Dietrich Genscher) den Auftrag erhalten, die Möglichkeit einer Währungsunion (das gemeinsame "Geld" hieß noch Ecu) zu prüfen, gemeinsam mit den Notenbankchefs der damals 12 EG-Staaten.

Vollendung des Delor'schen Masterplans

Beim EU-Gipfel von Hannover 1989 wurde dann der "Delors-Plan" vorgelegt, ein Drei-Stufen-Konzept zur Einführung der Währungsunion WWU. Der Fall der Berliner Mauer im November, Störversuche der britischen Premierministerin Margret Thatcher und das Zögern von Frankreichs Präsident François Mitterrand, hielte die WWU nicht mehr auf. Der Delors-Plan sah als "Krönung" die Schaffung einer echten, tiefen politischen Union vor. Das Geld war nur ein Mittel. Aber das wurde nie realisiert, weil die EU-Staaten auf (zu) viel Souveränität beharrten. Bis heute.

Barroso schlägt nun einen Umweg vor: die Eurostaaten sollen Kerneuropa bilden, weitere Mitglieder aufnehmen - und Delors' Ideen mit Kommission und EU-Parlament umsetzen. Ob das gelingt, wird man ungefähr 2018 wissen. Delors, von Paris aus aufmerksamer Beobachter der Ereignisse, wird dann 93 Jahre alt. Hoffen wir, dass er das erlebt. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 30.11.2012)