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Eine Näherin in der abgebrannten Textilfabrik.

Foto: Reuters/ANDREW BIRAJ

Es geht den DemonstrantInnen auf den Straßen von Dhaka nicht mehr nur um eine Verbesserung des Hungerlohns von 30 Euro pro Monat, sondern ums nackte Überleben. "Das Management hat uns gesagt, dass es nur eine Brandübung ist und wir weiterarbeiten sollen", erklärte etwa eine Arbeiterin gegenüber der "Zeit im Bild" Mittwochabend in einem Bericht über das Brandunglück in Dhaka. Die Arbeiterin aus Bangladesch war aus dem Fenster gesprungen und konnte sich so vor dem Feuer retten. 112 ihrer KollegInnen schafften das nicht und verbrannten oder erstickten in der Textilfabrik. Erst gestern brannte erneut eine Fabrik - Tote gab es dieses Mal keine.

Scheinbar braucht es derart drastische, blutige Meldungen, um die Öffentlichkeit auf die Probleme der TextilarbeiterInnen in Billiglohnländern wie Bangladesch, Pakistan oder Indien aufmerksam zu machen, denn die Probleme sind alt und mannigfach. Seit mehr als sieben Jahren stürzen Textilfabriken wegen schlechter Bauweisen ein oder brennen. Und: Die ArbeiterInnen gehen seit jeher auf die Straßen, um für gerechtere Löhne, humanere Arbeitszeiten und sichere Arbeitsplätze zu kämpfen. Repressionen, erklärt Christine Esterbauer von der NGO Clean Clothes gegenüber dieStandard.at, gibt es nicht nur von Seiten der Polizei, sondern auch von Fabriksbesitzern, die sehr oft in das Dickicht korrupter politischer Netzwerke involviert seien und gewerkschaftliches Agieren in ihren Betrieben mehrheitlich verbieten.

Autonome und gewerkschaftlich Organisierte

Umso bemerkenswerter der Protest in Bangladesch: Seit rund einer Woche hat sich dieser wieder intensiviert. Unzählige Menschen demonstrieren seither, sind wütender denn je ob der unzureichenden Arbeitsplatzsicherheit. "Es dürfte eine Mischung aus autonomen und gewerkschaftlich organisierten Personen sein, die hier auf die Straße gehen", so Esterbauer, die derartige Proteste seit Juli beobachtet und erklärt, dass die ArbeiterInnen ihre schlechten Arbeitsbedingungen nicht mehr individualisieren, sondern als strukturelles Problem begreifen. 

Bemerkenswert sind die Proteste auch deshalb, weil erst im April ein Gewerkschafter und Partner von Clean Clothes ermordet wurde. GewerkschaftsvertreterInnen, Arbeitsrechtsorganisationen und Clean Clothes rufen seit Jahren die großen Marken der Textil-Branche dazu auf, sich den Problemen der ArbeiterInnen in den ausgelagerten Produktionsstätten anzunehmen. Nur wenige Firmen jedoch verpflichten sich dazu den Schutz der ArbeiterInnen zu fördern. So haben etwa nur zwei Firmen eine Vereinbarung mit Fabriksbesitzern geschlossen, um ein Gebäude- und Brandschutzprogramm umzusetzen.

Gebäude- und Brandschutzprogramm

Lediglich Tchibo und PHV (Eigentümer von Calvin Klein und Tommy Hilfiger) haben sich zu diesem Sicherheitsprogramm verpflichtet. Esterbauer erklärt, dass sich Firmen wie C&A, KiK aber auch H&M und Zara kontinuierlich weigern, derartige Vereinbarungen zu treffen. Allein: Seit 2006 sind in Bangladesch mehr als 600 ArbeiterInnen aufgrund mangelnder Gebäudesicherheit zu Tode gekommen.

Das von Tchibo und PHV unterzeichnete Programm sieht eine unabhängige Gebäudeinspektion, Schulungen über ArbeiterInnenrechte, Veröffentlichung von Zulieferlisten und eine bereits lange überfällige Überarbeitung der Sicherheitsstandards vor. Esterbauer ist überzeugt, dass das Programm sowohl transparent als auch umsetzbar ist und einzigartig darin, dass es von allen zentralen VertreterInnen der bangladeschischen und internationalen Gewerkschaftsbewegung getragen wird. Und Clean Clothes wird weiterhin PartnerInnen suchen, die sich ihren Bemühungen anschließen - egal ob die derzeitige mediale Aufmerksamkeit auf die Arbeitsbedingungen der TextilarbeiterInnen gerichtet bleibt oder nicht. (eks, dieStandard.at, 29.11.2012)