"In Vorarlberg sperren sie die Frauen de facto bis zum zehnten Lebensjahr der Kinder ein." Mehr Fotos in Cremers Photoblog.

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STANDARD: Die Grazer hielten Kommunisten für die größere Zukunftshoffnung als die Grünen. Offenbar vertrauen die Wähler auch Ihrer Partei immer weniger. Warum?

Glawischnig: Für eine genaue Analyse braucht es noch Zeit. Ein Dämpfer war das Ergebnis jedenfalls, da will ich nichts beschönigen. Sicher haben wir auch Fehler gemacht. Diese müssen die Grazer jetzt klären.

STANDARD: In Kärnten tritt nun auch ein Linksbündnis an. Wie wollen Sie sich wappnen?

Glawischnig: In Kärnten mach' ich mir echt keine Sorgen, dass Rolf Holub nicht einen fulminanten Wahlsieg mit über zehn Prozent einfährt. Seine sensationelle Aufklärungsarbeit wird dort hochgeschätzt. Auf hundert Kilometer Entfernung ist er von der Brüder-Scheuch-Partie unterscheidbar.

STANDARD: Die Kärntner hat man da aber schon öfter überschätzt.

Glawischnig: Okay, die letzte Wahl nach Haiders Tod ähnelte einer kollektiven Psychose. Als alle gesagt haben, "jetzt müss ma den Haider wählen", habe ich eingewandt: "Der Haider ist tot." Doch als Antwort kam immer nur: "Wir müssen den Haider wählen." Jetzt aber ist ein Schalter umgelegt. Was ich von Leuten aus dem freiheitlichen Kernland Oberkärnten für Sprüche über die Blauen gehört habe, kann ich hier gar nicht zitieren.

STANDARD: Die Grünen fühlen sich historisch ständig im Recht: Sie haben vor der Umweltmisere gewarnt, der Korruption widerstanden. Sind die Wähler einfach ungerecht?

Glawischnig: Das würde ich nicht sagen. Aber so etwas wie eine konsequente Verkehrspolitik polarisiert - da erntet man nicht flächendeckend Applaus. Eine Partei wie die KPÖ übernimmt halt keine Verantwortung in einer Regierung. Doch messen Sie mich bitte nicht an Graz, sondern an den Nationalratswahlen.

STANDARD: Wie hoch ist das Ziel?

Glawischnig: Ich lege die Latte auf mindestens 15 Prozent. Sonst wird eine neue Mehrheit jenseits von Proporz und Korruption nicht möglich.

STANDARD: Was bekommen die Leute für ihre Stimme für die Grünen, außer höhere Steuern?

Glawischnig: Warum höhere Steuern? Unsere Modelle sind aufkommensneutral. Im Gegenzug zu Reichensteuern senken wir die Arbeitskosten.

STANDARD: Wie reich muss man sein, um zu zahlen?

Glawischnig: Der Einstieg liegt bei einer halben Million. Jene Millionärsgruppe in Deutschland, die eine Millionärssteuer fordert, argumentiert: Wenn die Einkommen weiter auseinanderdriften, spaltet sich die Gesellschaft so, dass wir nicht mehr in Ruhe leben können, ohne unsere Kinder wie in Johannesburg oder São Paulo mit dem Panzerwagen in die Schule fahren zu müssen.

STANDARD: Was passiert als Erstes, wenn Sie in der Regierung sind?

Glawischnig: Dass eine Minderheit im Parlament einen Untersuchungsausschuss einsetzen kann, ist Koalitionsbedingung.

STANDARD: Davon kann sich ein Wähler direkt nichts kaufen.

Glawischnig: Doch. Korruption frisst Zukunft auf, in Österreich Milliarden. Daran, dass uns die Hypo-Alpe-Adria 2,5 Milliarden Euro gekostet hat, ist nicht die Krise schuld, sondern ausschließlich das korrupte System in Kärnten. Das Geld ist jetzt perdu. Wäre 2007 der U-Ausschuss nicht abgedreht worden, dann hätte man sicher einen Teil des Schadens verhindern können.

STANDARD: Die Grünen planen ein Volksbegehren zum Thema Korruption, das ohnehin das Demokratievolksbegehren von MeinOE abdeckt. Ist diese Konkurrenz zu Gleichgesinnten nicht kleingeistig und dumm?

Glawischnig:Wir erheben ganz andere Forderungen: den Untersuchungsausschuss als Minderheitsrecht, unabhängige Staatsanwälte, die WhistleblowerRegelung. Ich werde aber auch das MeinOE-Volksbegehren unterschreiben.

STANDARD: Geht's nicht eher darum, Ihrem Ex-Europasprecher Voggenhuber, der sich für MeinOE engagiert, eins auszuwischen?

Glawischnig: Sie überschätzen diesen Uraltkonflikt vollkommen. Unser Begehren ist vielmehr eine Notwehrreaktion auf die Blockaden von SPÖ und ÖVP.

STANDARD: Missbrauchen Sie nicht ein direktdemokratisches Instrument für einen Wahlkampf?

Glawischnig: Man kann ein Parteivolksbegehren skeptisch sehen, aber was sollen wir anderes machen? Es gibt die Unterschriften aller Klubchefs, den U-Ausschuss zum Minderheitsrecht zu machen, doch es passiert nicht. Ohne Hilfe der Bevölkerung kommen wir nicht weiter. Unser Ziel sind 250. 000 Stimmen.

STANDARD: Ihr Kind geht in eine öffentliche Schule in Wien, obwohl Sie sich sicher eine private leisten könnten. Eine bewusste Wahl?

Glawischnig: Ja, ich bin ja nicht der Strache. Aber welche Schule, war dann allein eine organisatorische Frage. Als Mutter, die voll berufstätig ist und einen ebenso karriereorientierten Mann hat, möchte ich beide Kinder am selben Ort abholen können.

STANDARD: Wie sind die ersten Erfahrungen? Ist es so schlimm, wie der Pisa-Test vermuten lässt?

Glawischnig: Respekt vor jedem, der sich engagiert in die Klasse stellt. Aber es haben viele Eltern das Gefühl, das alles steht und fällt mit der Lehrerin - und da lande ich bei der Systemfrage. Der ideologische Streit zwischen der Bildungsministerin und der Lehrergewerkschaft ödet mich an. Kann man bitte einmal überlegen, wie es den Kindern geht?

STANDARD: Was fehlt?

Glawischnig: Ganztägige Schulen müssen der Regelfall sein, dann ist Platz für die Förderung der Stärken und auch für mehr Bewegung. Je weiter man nach Westen kommt, desto dramatischer ist es: In ganz Vorarlberg gibt es zehn ganztägige Klassen - nicht Schulen! Die sperren die Frauen de facto bis zum zehnten Lebensjahr ihrer Kinder ein. In Tirol sah ich ein Schild "Nachmittagsbetreuung von 14 bis 18 Uhr". Ich dachte schon, meine Vorurteile werden widerlegt, bis ich den Zusatz gelesen habe: "Mittwochs." (Gerald John, Peter Mayr, DER STANDARD, 29.11.2012)