Herzog- Punzenberger: "Schweden als Kontrastland".

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Ihre Eltern kamen aus der Türkei oder Exjugoslawien, wurden Gastarbeiter genannt. Sie, die Nachkommen, sind für Sozialwissenschafter die zweite Generation. Wie geht es diesen in der neuen Heimat geborenen und aufgewachsenen Migrantenkindern? Mit der internationalen TIES-Studie (" The Integration oft the European Second Generation") wurde in sieben europäischen Staaten erstmals die Integration der zweiten Generation untersucht. Befragt wurden 18- bis 35-Jährige in Großstädten und einer Region. Aus Österreich beteiligten sich Wien, Linz und Vorarlberg.

Vergangenen Freitag wurden in Hohenems (Vorarlberg) die Studienergebnisse zum Bereich Bildung diskutiert. Die Bildungsvoraussetzungen, bedingt durch den familiären Hintergrund, sind im internationalen Vergleich ähnlich, die Bildungskarrieren hängen jedoch von der Durchlässigkeit des Schulsystems ab, aber auch, sagt der Vorarlberger Studienautor Simon Burtscher-Mathis, "von der Haltung der Mehrheitsgesellschaft". Auffallend: Bei Nachkommen türkischer Eltern ist in den deutschsprachigen Ländern die Zahl der frühen Schulabgänger hoch, der Anteil von Maturanten und Hochschulabsolventen niedrig.

In Österreich hat Vorarlberg die wenigsten Maturanten (sieben Prozent) und Studenten (ein Prozent) mit Migrationshintergrund. In den Vergleichsländern Frankreich, Belgien und Niederlande reicht der Anteil höchster Abschlüsse von 18 bis über 50 Prozent. In diesen Ländern startet der Bildungsweg mit drei oder vier Jahren.

Schweden, das siebente der Studienländer ist "das Kontrastland", sagt die österreichische Vertreterin im TIES-Team, Barbara Herzog-Punzenberger, tätig u. a. an der Akademie der Wissenschaften (ÖAW). "In Schweden gibt es keine frühe Selektion, keine Brüche der Schullaufbahn durch erzwungene Entscheidungen, welche Schule man weiter besuchen soll." Zugewanderte Eltern würden nicht mit einem System unterschiedlicher Schultypen konfrontiert, "in dem sie sich nicht auskennen". Der einfache schwedische Weg: "Alle kommen in die gleiche Schule und bleiben dort neun Jahre lang." Die Chancen sind so gut wie gleich: 90 Prozent der Jugendlichen mit Migrationshintergrund bleiben zwölf Jahre lang im Bildungssystem.

An der "Elterncharakteristik" kann es nicht liegen. Die Eltern der schwedischen Befragten brachten das schlechtere Bildungsprofil mit nach Schweden als ihre Landsleute, die in Österreich einwanderten. Die schwedische Gesellschaft reagierte jedoch anders auf die Migrationswelle als die deutschsprachigen Länder, wo man bis in die 1990er-Jahre an eine vorübergehende Anwesenheit der "Gastarbeiter" dachte.

Integrationsmaßnahmen der 1970er-Jahre

"Schweden sah die Migranten bereits Anfang der 1970er-Jahre als künftige Gesellschaftsmitglieder. Die Arbeitgeber mussten Zeit für Sprachkurse zur Verfügung stellen, die Kommunen die Kurse organisieren", beschreibt Herzog-Punzenberger die frühen Integrationsmaßnahmen. Ganztägige Schulsysteme haben für Kinder aus sozial schwachen Familien den Vorteil, dass sie nicht von der Unterstützung (der oft bildungsfernen) Eltern oder auf Nachhilfe angewiesen sind.

Ein weiterer Grund für die besseren Bildungskarrieren in nichtdeutschsprachigen Ländern ist das Bemühen um objektive Beurteilung durch standardisierte Tests und Prüfungsverfahren. Herzog-Punzenberger: " Schulnoten sind nicht objektiv genug. Für Entscheidungen über den Bildungsweg braucht man Ergebnisse standardisierter Tests." Diese Tests fehlten in Österreich, ebenso mangele es an der Aus- und Weiterbildung der Lehrenden, kritisiert die Sozialwissenschafterin: "Kinder aus einfachen Verhältnissen können beim derzeitigen Unterricht ihre Kompetenzen nicht bestmöglich ausbilden."

Lernt man in Österreich aus der Studie? Die Ergebnisse der TIES-Untersuchung würden seit 2009 in "1000 kleinen Inputs" zur Debatte gestellt, sagt Herzog-Punzenberger. Die Forderung der Sozialpartner nach einer gemeinsamen Schule sieht sie als eine positive Folge dieser und anderer aktueller wissenschaftlicher Arbeiten. (Jutta Berger, DER STANDARD, 28.11.2012)