Bild nicht mehr verfügbar.

Faust unterm Scanner: Die Digitalisierung beschwört vielfach Szenarien vom Büchersterben herauf.

Foto: AP

Er steht auf hölzernen Stiegen riesiger Bibliotheken und streift ehrwürdig über lederne Buchrücken, denen man ihre lange Geschichte ansehen kann. Die Figur des Bibliophilen ist in Film und Literatur keine Seltenheit. Vermehrt tritt der Bücherfetisch aber ab der Jahrtausendwende auf, wie Christine Grond beobachtete. Sie erklärt sich diese oft "seltsame Sentimentalität gegenüber dem Objekt Buch" mit den allgegenwärtigen Bedrohungsszenarien, die sein Verschwinden prophezeien.

Die Literaturwissenschafterin an der Donau-Universität Krems beschäftigt sich mit der Digitalisierung von literarischen Texten und ist dadurch ständig mit Befürchtungen des Buchsterbens konfrontiert. Soeben publizierte sie, gemeinsam mit Wolfgang Straub, Germanistikprofessor an der Uni Wien, das Buch Literatur und Digitalisierung, mit dem Anspruch, jene Szenarien der Realitätsprüfung zu unterziehen.

Viele davon seien unberechtigt oder überzogen, ist Gronds Conclusio. Sie ist überzeugt: Bücher sterben nicht aus. Und: Um sich sinnvoll mit dem unaufhaltsamen Phänomen der Digitalisierung auseinandersetzen zu können, müsse man weg von dieser wenig rationalen, bibliophilen Diskussion, die sich ausnehme wie "ein Abgesang des Buches".

Gronds wissenschaftliche Aufmerksamkeit liegt auf der historischen Bestandsaufnahme. Sie interessiert sich für die Phänomene, die einsetzen, wenn neue Medien aufkommen. "Auch das Buch war einmal ein neues Medium und hat für Aufruhr besorgt." Im Vergleich zu anderen Kunstsparten reagiere der Literaturbetrieb sehr reaktionär auf solche Neuerungen.

Gravierende Umwälzung

Ihr Forschungsansatz hängt eng mit ihrer Archiv-Arbeit zusammen. Grond leitet das Archiv der Zeitgenossen in Krems, das die Vorlässe von Schriftsteller Peter Turrini und von Komponist und Dirigent Friedrich Cerha betreut.

Hier sei spürbar, dass es sich bei der Digitalisierung um "eine der gravierendsten Umwälzungen" des Literaturbetriebs handelt. In dem noch jungen, kleinen Archiv habe man bereits alles auch in digitaler Form. Ein Archiv funktioniere immer zwischen zwei Polen: "Es lebt von der Erhaltung des Materials, aber auch von dessen Zugänglichkeit", erklärt Grond. Vor allem Letzteres sei durch das Internet um ein Vielfaches einfacher geworden.

Die Sorgen um Urheberrecht und dessen Schutz erkennt Grond an, zeigt aber auf, dass es sich dabei nicht um eine Qualität des Digitalen handelt. Vielmehr sei es die enorme Quantität der digitalen Texte, die dieses Problem verstärken. "Es ist dieses Unkontrollierbare, das Angst macht."

"Das Medium ist die Botschaft" - den viel zitierten Satz Marshall McLuhans, den sich die Medienwissenschaft zum Programm machte, unterschreibt auch Christine Grond. "Man kann Inhalt und Form natürlich nie ganz trennen."

Ob man einen Text auf dem Kindle, im Taschenbuch oder einem alten Prachtband liest, die Lektüreerfahrung ist nicht die gleiche. Grond wehrt sich aber dagegen, dass dies grundsätzlich als Negativpunkt gegen Digitalisierung angeführt wird. "Vieles wird sich weiterentwickeln, das im Buch weniger gut darstellbar ist", argumentiert sie und denkt etwa an Verlinkungen und Fußnoten.

Die Literaturwissenschafterin will diese Debatte von ihrem pessimistischen Tenor befreien. Manche der Befürchtungen seien zwar ernst zu nehmen, räumt sie ein, "aber langsam sollte man einen Schritt darüber hinausgehen". Etwa gehe man oft davon aus, die Verlage seien eine "natürliche Form der Qualitätskontrolle". "Nicht alles, was in Buchform erscheint, steht automatisch für Qualität", gibt Grond zu bedenken. Dieses System sei nicht perfekt.

Doch auch die digitale Bibliothek ist noch alles andere als perfektioniert. Noch immer ist das papierene Buch nachhaltiger als jedes digitale Medium. Wie man im Trubel der sich stetig weiterentwickelnden neuen Speichersysteme und -formate die dauerhafte Archivierung von Texten sicherstellen kann, ist noch ungelöst. Noch ein Grund, sich auf eine tiefergehende Diskussion über die Digitalisierung von Literatur einzulassen. (Julia Grillmayr, DER STANDARD, 28.11.2012)