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Wer schauen muss, dass er seinen Platz am Arbeitsmarkt verteidigt, hat für Solidarität oft keinen Platz.

Foto: AP/Dueren

Der deutsche Autobauer BMW hat im vergangenen Jahr einen Rekordgewinn von 4,9 Milliarden Euro erzielt. Auch das Jahr 2012 verläuft trotz Krise recht erfolgreich. Der Anteil der Leiharbeiter soll bei BMW bei rund 20 Prozent liegen. Nun soll sich der Konzern rüsten, 3.000 Leiharbeiter in die Stammbelegschaft aufzunehmen. "BMW ist ein gutes Beispiel dafür, dass ein Unternehmen auch in Krisen- und Boomzeiten flexibel sein kann", lobte die deutsche IG Metall. Kritiker sehen das anders: In Wirklichkeit hätten IGM und Betriebsrat gemeinsam mit der Konzernspitze den massiven Einsatz von Leiharbeit genutzt, um auch die Arbeitsbedingungen der fest Eingestellten auszuhöhlen.

Ein Einzelfall ist der deutsche Konzern nicht. Leiharbeit ist fester Bestandteil der modernen Arbeitswelt, neben anderen Formen der atypischen Beschäftigung. Hierzulande sind laut Statistik Austria mit 1,1 Millionen Menschen 31 Prozent der unselbstständig Erwerbstätigen atypisch beschäftigt. Bei Menschen mit Universitätsabschluss spielt Leiharbeit keine Rolle, sie stehen allerdings doppelt so oft in befristeten Arbeitsverhältnissen wie der Durchschnitt der unselbstständig Beschäftigten. Handel oder Reinigungsgewerbe vergeben an Personen mit geringer Qualifikation nur mehr ganz wenige Vollzeitverträge. In großen Handelsketten arbeiten fast 70 Prozent in verschiedenen Teilzeitformen, weil man damit die Mitarbeiter entsprechend der Öffnungszeiten sehr flexibel einsetzen kann.

Die Vollerwerbsstelle von der Jugend bis zur Pension ist ohnehin schon lange keine Selbstverständlichkeit mehr. Billig- und Teilzeitjobs, Arbeitslosigkeit und unbezahlte Praktika gehören für viele mittlerweile zur Erwerbskarriere. Auf dem Weg zu mehr Effizienz bei Unternehmen und Staat bleiben allerdings viele auf der Strecke, sagt Arbeitsforscher Manfred Krenn. Die gesellschaftliche Übereinkunft, wonach Arbeit ein ordentliches Leben ermöglichen soll, sei schon Anfang der 1980er Jahre abgebröckelt.

Als sich alles änderte

Eine lange Phase der Prosperität hat es zuvor möglich gemacht, zu verteilen. Auch für unqualifizierte Beschäftigte gab es abgesicherte und relativ gut entlohnte Jobs. Die starke Regulierungskraft der Sozialpartnerschaft trug zu diesem Konsens bei. Erhebliche Umbrüche gab es mit einer immer stärker verflochtenen Weltwirtschaft und dem Ende hoher Wachstumsraten in den 1980er Jahren. Auch die heimische Politik geriet angesichts der wirtschaftlich schwieriger werdenden Lage - mit bekannten Randerscheinungen wie wachsenden Budgetproblemen - zunehmend unter Druck (entspricht einer Rate von 1,87 Prozent). Ab da ging es stetig abwärts: 1986 lag die Zahl bei 151.000 oder 5,2 Prozent. 2005 waren 252.654 Menschen oder 7,25 Prozent ohne Job. Zuletzt lag die Zahl bei 322.805 Menschen.

Lange Zeit wurde die zunehmende Langzeitarbeitslosigkeit in europäischen Wohlfahrtsstaaten mit passiven Maßnahmen wie Ausdehnung der Anspruchsdauer auf Arbeitslosenunterstützung, Ausweitung von Frühpensionierungsmöglichkeiten und staatliche Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen „abgefedert". Als die Arbeitslosigkeit stieg, kam es zu einem Paradigmenwechsel. Bedingungslos gewährte staatliche Unterstützungsleistungen führten beim Empfänger zur Passivität, hieß es ab nun. Arbeitslosigkeit wurde zunehmend als Folge fehlender Arbeitsbereitschaft der Betroffenen interpretiert. Zu großzügig seien die Leistungen der Arbeitslosenversicherung, die Vermittler bei den Arbeitsämtern zu sehr auf die Zumutbarkeit der Jobs bedacht, lauteten die Argumente nun. Wohin das führt, ist in dieser Diktion klar: direkt ins süße Nichtstun, zum Leben als Sozialschmarotzer in der bequemen Hängematte des Sozialstaates.

Zurück auf den Arbeitsmarkt

Im Gegensatz dazu setzte die aktivierende Arbeitsmarktpolitik auf die Wiedereingliederung in den regulären Arbeitsmarkt - und das mit zunehmend unsanfterem Druck. Seit den 1980er Jahren wurde der Zugang zu den Leistungen und Ersatzleistungen aus der Arbeitslosenversicherung (ALV) sukzessive erschwert. Parallel dazu baute man seit den 1990er Jahren auch die Sanktionsmöglichkeiten - bis zur temporären Sperre des Entgeltbezugs - gegen Arbeitslosengeld- und Notstandshilfebezieher aus und verschärfte die Zumutbarkeitsbestimmungen. Die Zahl der Sperren des Arbeitslosengeldes hat sich demnach zwischen 1990 und 2005 verfünffacht.

Auch wer arbeitet, steht mehr und mehr unter Druck. Die Angst um den Job, die Sorge, vielleicht gar keinen zu bekommen, der Stress abzusteigen, beschäftigt die Menschen. Konkurrenz belebt oder nur wer fit und stark ist überlebt, das sind die Kehrseiten der Medaille. Polarisierung gehört laut Arbeitsforscher Krenn heute zum Alltag: „Mit zunehmender Prekarisierung wurden unterschiedliche soziale Sicherungsniveaus von Beschäftigungsverhältnissen eingeführt. Die Spaltungen haben eine entsolidarisierende Wirkung", sagt Krenn.

Der Staat selbst betreibe entsprechende Politik durch Privatisierungen und Ausgliederungen. „Auch im öffentlichen Dienst wird unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten gehandelt", so Krenn. Betriebswirtschaftlichen Konzepten statt volkswirtschaftlicher Gesamtrechnung sei es geschuldet, dass die Frage, ob sich das für den Staat rechne, nicht gestellt werde. Denn die ausgegliederten Mitarbeiter, die dann in der Regel weniger verdienen, müssten oft erst recht wieder mit staatlichen Transferleistungen über Wasser gehalten werden.

Flexibilität durch Leiharbeit

Ein gutes Beispiel für entsolidarisierende Verhältnisse sind für Krenn die Leiharbeiter. Sie unterstützen nicht nur die Flexibilität der Unternehmen, weil man sie bei Bedarf leicht einstellen und ebenso schnell wieder loswerden kann. "Sie führen den Stammarbeitern auch ihre prinzipielle Gefährdung vor Augen. Ich habe es noch gut, aber ich muss mich anstrengen, weil ich könnte genauso gut zum Leiharbeiter werden." Das produziere Formen von exklusiver Solidarität, so Krenn. Wer noch einen relativ sicheren Arbeitsplatz hat, bezieht Stellung gegen die anderen, die als Bedrohung wahrgenommen werden. Die Gewerkschaften hätten diese Einschätzung lange unterstützt, indem sie Leiharbeiter und andere prekäre Beschäftigungsgruppen nicht vertreten hätten.

Das Leihpersonal habe hingegen die Karotte vor Augen: Wenn Du wirklich tüchtig bist, schaffst Du es wieder zurück in ein Normalarbeitsverhältnis. Eine Basis für Solidarisierung unter den Leiharbeitern sei das nicht, weil jeder ganz persönlich darauf bedacht sei, in die Stammbelegschaft zu kommen. Auch die Stammarbeiter hätten keinen Grund zur Solidarität, weil womöglich die Leiharbeiter die Leistungsnormen in einem Betrieb unterlaufen, indem sie mehr leisten, um zu zeigen, dass sie würdig für eine Fixanstellung seien.

Unterschiedliche soziale Schichten

Auch wer in anderen prekären Arbeitsverhältnissen arbeitet, hat kaum Chance auf Mitgefühl und will vor allem selbst nicht solidarisch sein, glaubt Krenn. Einst befanden sich Menschen mit ähnlichen Arbeitsbedingungen in ähnlichen Lebenslagen. Heute treffen ähnliche Arbeitsbedingungen unterschiedliche soziale Schichten. Die Prekarisierung betrifft Menschen wie so genannte Selbstmanager mit sehr guten Ausbildungsabschlüssen genauso wie unqualifizierte Arbeiter. Typische Selbstmanager in kreativen Berufen, die bis zu einem gewissen Grad diese Form selbst gewählt hätten, empfänden starre Regelungen als Einschränkungen. „Das sind die Prototypen derjenigen, die in dieser entsolidarisierten Konkurrenzgesellschaft als Sozialfiguren verallgemeinert werden", sagt Krenn.

Wenig flexible Arbeitszeiten der Beschäftigten im öffentlichen Dienst oder Erholungspausen der Fließband-Arbeiter würden aus dieser Perspektive als Privilegien diskutiert. Die Verantwortung an ihrer Arbeits-Situation werde den Menschen erfolgreich selbst zugeschrieben. Gesellschaftliche Risiken im öffentlichen Diskurs individualisieren, nennt das der Forscher. Aufregen gegen ungerechte Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen sei vor diesem Hintergrund nicht angesagt. Vielmehr beschäftigt sich die moderne Arbeitskraft mit seiner eigenen Beschäftigungsfähigkeit. Erst wenn die Lage für viele ausweglos und so dramatisch wie derzeit in Spanien oder Griechenland ist, scheine eine Umkehr der Perspektiven möglich. Die Erkenntnis für viele lautet dann, dass doch das System versagt und nicht der einzelne. (Regina Bruckner, derStandard,at, 4.12.2012)