Die Krise auf dem Zeitungsmarkt hat den Chefredakteur der "Presse" am Wochenende zu einer Intervention unter dem Titel "Die eitle Ente vom Ende der Zeitungen" getrieben, in der er die Sehnsucht nach einem Terminator des Leitartikels mit dem Geständnis paarte, selber leider auch keiner zu sein. "Ein lösungsorientierter Leitartikel gilt in der deutschsprachigen Publizistik zu Recht als Seltenheit und ambitionierte Herausforderung zugleich. Dabei würde es an Problemen nicht mangeln", machte er seinen Leserinnen und Lesern mit einer Aufzählung den Mund wässrig: "Regierungswechsel dank neuer Mehrheiten und Wahlrechtsreform, die Euro-Finanzkrise und der aktuelle Streit um die EU-Finanzierung". Es gibt ja jetzt Himmelsstürmer, die sich bei der Lösung irdischer Probleme am Bedürfnis nach einer gemäßigten Diktatur orientieren, andere geben es halt billiger. Zielte er mit dem Begriff des "lösungsorientierten Leitartikels", unbeschadet seiner Schwammigkeit, auf eine Lösung politischer Probleme durch Journalisten, sollte man, besonders im Hinblick auf den Boulevard, froh sein, dass die in demokratischen Staaten gepflegte Gewaltenteilung solchen Ambitionen einen Riegel vorschiebt. Sollte er hingegen gemeint haben, es herrsche ein Mangel an Leitartikeln, in denen Journalisten Politikern ihre Unfähigkeit durch Besserwisserei auszutreiben suchen, so wird er in dieser Besorgnis nicht zuletzt in seinem eigenen Blatt tagaus, tagein widerlegt.

Als "lösungsorientierten" Ansatz zu seinem Leitartikel hat er die Maxime gewählt: "Zeitungen sterben, Zeitungen überleben. Das nennt man Markt". Damit nimmt er die Lösung der Zeitungskrise nicht gerade "als ambitionierte Herausforderung" auf seine journalistischen Schultern, er überträgt sie aber immerhin dem Lieblingsfetisch seines Blattes. Dies allerdings nicht ohne ein fatalistisches Bekenntnis seines Scheiterns. "Zugegeben: Auch ich kann hier keine Lösung anbieten. Hätte ich eine, würde ich mich - nun mögen die Leser verzeihen - nach Ausarbeitung und Verkauf derselben verstärkt Familie und dem Schreiben widmen."

Was der Familie des Chefredakteurs und der Weltliteratur da aus Mangel an Lösungsorientiertheit entgeht, ist gar nicht abzuschätzen, aber "die Leser" werden es schon verzeihen. Wenn ihn selbst der Glaube an den "Markt keine Lösung anbieten" ließ, so fielen doch "ein paar Hinweise" ab. Zum Beispiel: "Zeitungen, die nur das schreiben, berichten und meinen, was ohnehin jeder sagt und meint, werden es schwer haben". "Die Presse", und nicht nur sie, hat es gegenwärtig leider schwer, und das wird sich nicht so bald ändern. Hält ihr Chefredakteur sie etwa für eine Zeitung, die nur das schreibt, berichtet und meint, "was ohnehin jeder sagt und meint"?

Oder zeigt die österreichische Medienbranche nicht schlicht das Gegenteil auf: Zeitungen sind von der Krise am wenigsten betroffen, die es darauf anlegen, unter bewusster Vernachlässigung, ja Verhöhnung anderer Meinungen "nur das" zu schreiben und in grausiger Folge sogar Politikern vorzuschreiben, was in kommerzieller Einschätzung eines gesunden Volksempfindens "ohnehin jeder sagt und meint".

Geradezu schwärmerisch versucht der "Presse"-Chefredakteur schließlich doch noch, seinen Leitartikel "lösungsorientiert" erscheinen zu lassen. "Nur Zeitungen, die in Aufmachung, Zugang und Gewichtung einen völlig eigenständigen Weg gehen, werden sich durchsetzen." Eben das hatte er ein paar Zeilen vorher am Beispiel der "Financial Times Deutschland" noch dementiert, aber da glaubte er vermutlich noch an den "Markt": Sie "war und ist zwar eine exzellent gemachte Zeitung mit hohem - ethischen - Standard. Leider machte sie in zwölf Jahren nie Gewinn, auch nicht in den Boomjahren. Wie der Titel der Zeitung schon andeutet, ist das Aus des Blattes wegen der fehlenden finanziellen Basis aus der Sicht des Konzerns wohl durchaus verständlich." Ein kleiner Trost: Dann muss man sich ja um "Die Presse", bei den Gewinnen, die sie seit Jahren einfährt, keine Sorgen machen, der "Markt" wird es schon richten.

Wie die "Kronen Zeitung" dieser Tage "in Aufmachung, Zugang und Gewichtung einen völlig eigenständigen Weg" geht, muss dem Chefredakteur der "Presse" zu denken gegeben haben. "Vier Männer im Blutrausch" war ein "lösungsorientierter" Aufmacher, dem am Sonntag ein auflösungsorientiertes Interview vorangegangen war: "Versteht Gott Ihre Lovestory, Herr Pfarrer?" Der Lover vermutet: Ja. Es sollte "schließlich kein plumpes Outing werden". (Günter Traxler, DER STANDARD, 27.11.2012)