The Walking Dead

Für: PC, MacOS, PS3, Xbox 360, iOS

Von: Telltale Games

Ab: 18 Jahren

UVP: 25 Euro (alle fünf Episoden zusammen)

Foto: Telltale Games

Explosiv: Gefangen in einem kleinen Kaufhaus in einer zombieverseuchten Stadt gilt es erstmals, sich in einer Gruppe aus Überlebenden zu bewähren.

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Mitunter sind schwere Entscheidungen zu treffen, die langfristige Auswirkung...

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...auf das Schicksal der Gruppe haben.

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Dabei gilt es nicht nur, sich um die kleine Clementine zu kümmern...

Screenshot: derStandard.at/Pichler

...sondern sich auch mit ausgefeilten Charakteren wie Kenny herumzuschlagen – manchmal im wortwörtlichen Sinn.

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Die Untoten dienen für die bedrückende Kulisse sowie als Gefahr in Schleich- und Schießeinlagen.

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Ein kurzer Einblick in zwei der...

Foto: Rebell.at

...stärksten Szenen des Spiels.

Foto: Telltale Games

Das Studio Telltale Games hat sich in den vergangenen Jahren unterschiedlicher, meist älterer, Spielreihen aber auch Filmen angenommen und ihnen ein Revival spendiert. Furore machte etwa die Rückkehr der humorvollen Genre-Oldies "Monkey Island" und "Sam & Max", daneben bastelte man auch ein Spiel zu "Zurück in die Zukunft". Heuer nahm man sich aktuellen Materials an und hat eine Umsetzung zu Robert Kirkmans Comic-Reihe "The Walking Dead" geliefert. Der GameStandard hat einen Ausflug in das endzeitliche Amerika der Zombieapokalypse gewagt.

Wenn die Welt kippt

Es fängt alles recht harmlos an. Lee Everett, das Alter Ego des Spielers, findet sich in einem Polizeiwagen wieder, verwickelt in ein Gespräch mit dem Beamten am Steuer, der ihn in ein Gefängnis nahe Atlanta überstellt. Hier setzen sich erste Fragmente der jüngsten Vergangenheit des Protagonisten zusammen, die aber erst im weiteren Verlauf ergänzt werden und zu einem Gesamtbild verwachsen. Dann überschlagen sich Auto und Ereignisse.

Beim Versuch, einer Gestalt auf der Fahrbahn auszuweichen, stürzt das Auto über eine Böschung. Die Handlung setzt – wahrscheinlich Stunden später – wieder ein. Der Fahrer hat den Crash nicht überlebt, dafür lehrt "The Walking Dead" den Spieler die einfache Steuerung der Actionsequenzen in einer ersten Begegnung mit einem Untoten.

Wenig Anlehnung an Comicvorlage

Wer die Comics mitverfolgt, wir alsbald feststellen, dass die Handlung des Telltale-Adventures nicht viel damit gemein hat und sich nur lose Anleihen nimmt. Wenige Orte und vereinzelte Charaktere finden sich sowohl in der Vorlage als auch in der sehr empfehlenswerten und ebenfalls nicht handlungsgetreuen TV-Serie wieder. Trotzdem sind zwischen allen drei Werken unweigerlich Parallelen zu ziehen.

Eine Frage der Verantwortung

Im nächsten Schritt der langsam anlaufenden Dramaturgie lernt der Protagonist das achtjährige Mädchen Clementine kennen, für die er fortan die Verantwortung trägt. Ein Mechanismus, der nicht nur funktioniert, sondern im weiteren Verlauf in all seinen Facetten von den Designern des Spiels ausgespielt wird.

Untote Kulisse für menschliches Drama

Dass die Welt auf einmal von kannibalischen, wandelnden Toten bevölkert wird, ist wichtig für die Handlung, spielt aber trotzdem oft genug nur eine untergeordnete Rolle. Spätestens als man, gemeinsam mit anderen verschanzt im kleinen Kaufhaus festsitzt, beginnen jene Räder richtig zu drehen, die das Spiel bis zum Ende brilliant am Laufen halten.

"The Walking Dead" dreht sich um Menschen und Entscheidungen und nicht um Zombies und Waffen oder die Suche nach einer Heilung für die mysteriöse Seuche. Es ist dabei nicht nur Lee, der, wenn der Spieler es zulässt, immer mehr zu ihm wird, sondern auch eine Reihe Charaktere, die ihn und Clementine begleiten.

Da wäre die sympathische Reporterin Carly, die verbitterte und ewig misstrauische Lilly und ihr hartherzig-hitzköpfiger Vater, der impulsive Kenny mit dem weichen Herzen und sein einfach gestrickter Sohn oder das junge Pärchen Christa und Omid. Doch selbst Personen, deren Auftritte nur von kurzer Dauer sind, verbleiben im Gedächtnis.

Entscheidungen und Beziehungen

Es sind nicht Gefechte, sondern vor allem Gespräche, die die Handlung vorantreiben. Entscheidungen – auch über Leben und Tod -, die Lee oftmals als Kopf der Überlebenden trifft, und die sich auf den weiteren Verlauf auswirken. Oft über mehrere der insgesamt fünf Episoden hinweg und dabei überraschend, weil man sie schon längst vergessen hat. Eine Stärke, die am Ende des Abenteuers in einer genial geplanten Szene zur Geltung kommt.

Dann ist da die Chemie zwischen den Protagonisten. Ihr unterschiedlicher Umgang mit einer Welt, die sich zum Schlechtesten verändert hat. Ihre Vergangenheit, ihre Beziehungen miteinander, ihre Konflikte untereinander, ihre Reaktion auf Ereignisse. "The Walking Dead" vermag dies in einzigartiger Form einzufangen und in ein dichtes Netz aus Atmosphäre einzuflechten, das stets über allem liegt, während die Handlung sich entfaltet und dabei nur selten berechenbar ist.

Die meist kurzen Actionsequenzen verkommen öfters zum notwendigen Beiwerk, was in manchen Situationen auffällt und die einzige nennenswerte Schwäche des Telltale-Werks darstellt.

Vaterrolle

Im Zentrum des großen Ganzen steht Clementine. Egal ob der Spieler den Weg des einfühlsamen Mediators oder des zynischen Egoisten geht, er bleibt stets in der Verantwortung, die er für das sie übernommen hat. Es sind fast väterliche Gefühle und eine tiefe Bindung, die aufgebaut wird, während "Clem" sich von einem schreckhaften, schüchternen Kind in ein tapferes, junges Mädchen entwickelt, das beginnt zu begreifen, wie man sich in der Endzeit, die keine Vergebung kennt, behauptet.

Ob ihr gelehrt wird, in diesem Überlebenskampf auch ihre Menschlichkeit zu bewahren und Werte wie Nächstenliebe hochzuhalten, obliegt dabei ebenso dem Spieler. "The Walking Dead" stellt die Frage der Moral, ohne zwingend mit dem mahnenden Zeigefinger eine Antwort nach "Heile Welt-Maßstäben" einzufordern.

Gelungen inszeniert

Es packt den Spieler vor dem Monitor. Obwohl das Designerteam sich für Grafik im Comicstil entschieden hat, verlieren die Bilder nichts von ihrer Stärke – im Gegenteil, denn so lassen sie Interpretationsspielraum. Man stelle sich dieses Spiel vor wie ein tolles Buch vor, das man nicht weglegen kann und an dessen Fortlauf man selbst beteiligt ist. Das Abenteuer verbleibt im Kopf. Erwähnung verdient freilich auch die absolut gelungene akustische Untermalung und noch mehr die sensationellen Darbietungen der Sprecher.

What if... ?

Das wertvollste Qualitätsmerkmal von "The Walking Dead" ist es, den Spieler auch fernab von Computer, Konsole oder Tablet zu wirken."Was wäre wenn"-Gedankenspieler herauszufordern. Hätte eine andere Entscheidung an einem gewissen Punkt zu einem besseren Ausgang geführt? Wäre der Tod eines Gruppenmitglieds nicht doch vermeidbar gewesen?

Fazit: Ein Meilenstein des Erzählens

Was bleibt nach der zehn- bis zwölfstundigen Achterbahnfahrt der Gefühle quer durch Georgia? Erlaubt man es dem Spiel, wird man erschüttert, zerrüttet, ermutigt, erleichtert, erstaunt und schwer nachdenklich gemacht. Wer gute Adventures schätzt, wird hier eine der bisher besten Momente der Videospielgeschichte in Sachen Storytelling erleben. Wer Zombies lieber mit dauerhaft eingeblendetem Fadenkreuz betrachtet, wird hier hingegen wenig gewinnen und dürfte mit der Serien-Umsetzung von Activision wohl besser dran sein.

Telltale hat sich mit "The Walking Dead" die Latte hoch gesetzt. Das Gebotene in der kommenden zweiten Staffel des Spiels zu überbieten oder qualitativ wenigstens gleichzuziehen, wird definitiv eine schwere Herausforderung. (Georg Pichler, derStandard.at, 27.11.2012)