Nach der Vertagung des EU-Budgetgipfels schalteten fast alle Regierungschefs rasch wieder auf Modus Schönreden. Man müsse doch sehen, dass es erste Annäherungen bei ach so schwierigen Finanzierungs- und Förderungsfragen gegeben habe. In Wahrheit dränge die Zeit gar nicht so sehr. Der neue - auf sieben Jahre angelegte - Finanzrahmen müsse doch erst 2014 in Kraft treten.

"Gelassenheit" rief die deutsche Kanzlerin Angela Merkel als Parole aus. Klingt hübsch, ist auch nicht ganz falsch - und doch eine Vernebelung politischer Tatsachen.

Beim vorläufigen Scheitern der Regierungschefs fiel erstens auf, wie schwach ihr Wille zur Einigung von Anfang an ausgeprägt war. Gut 80 Prozent des Gipfels vergingen mit vertraulichen, bilateralen Gesprächen unter vier Augen. Gemeinsam im Saal waren sie vielleicht vier Stunden mit echtem Budgetverhandeln beschäftigt. Da bleiben jedem der 27 Staaten knapp zehn Minuten. Europa ist nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch schwach.

Zweitens trat eine Tendenz zutage, die noch viel riskanter ist: Merkel sieht sich offenbar als neue "Eiserne Lady" nach deutscher Fasson. Den Chef der EU-Kommission ignoriert sie völlig, zu Frankreichs Präsident ist sie auf Distanz. Dafür zelebriert die konservative Kanzlerin auffällig ihre neue Sparpartnerschaft mit dem Briten David Cameron, im Viererpack mit EU-skeptischen Schweden und den Niederlanden. Der Rest Europas klammert sich an Paris. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 24/25.11.2012)