Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat Russland keine deklarierten Feinde - zumindest wenn man in Kategorien von Staaten denkt. Auch für das eurasische Riesenreich haben sich die Bedrohungsbilder geändert. Terrorismus und Cyberattacken sind nicht mit einer veraltet-konventionell ausgerüsteten und in weiten Bereichen demotivierten Massenarmee zu bekämpfen.

Wladimir Putin möchte die Armee modernisieren und neu motivieren - auch, weil sie ein Kernelement in seinem Versuch darstellt, dem Land eine neue ideologische Basis, ein neues Selbstverständnis zu geben. Das will der Mann, der den Zusammenbruch der Sowjetunion als größte historische Katastrophe des 20. Jahrhunderts bezeichnete, mit einem neuen Patriotismus bewerkstelligen.

Dieser ist bei genauerem Hinsehen so neu freilich nicht. Er nährt sich aus der Vorstellung von der Einzigartigkeit Russlands, von seinem Unverstandensein inmitten einer feindlichen Umwelt, von seinem zivilisatorischen Sendungsauftrag und dem daraus abgeleiteten imperialen Anspruch. Russland habe "nur zwei wahre Freunde in der Welt: seine Armee und seine Flotte", meinte einst Zar Alexander III. (1881-1894).

So wie Russland unter Putin auf der internationalen Bühne agiert, scheint diese Überzeugung auch heute vorzuherrschen. Aber damit kann man weder eine Armee noch eine Gesellschaft modernisieren. (DER STANDARD, 23.11.2012)