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Diskret, fromm, scheu, bescheiden: Giuseppe Spinelli wurde zum Entführungsopfer, um von Silvio Berlusconi Millionen zu erpressen.

Foto: EPA/DANIELE MASCOLO

Es ist ein Kriminalfall, der viele Rätsel aufgibt: Eine Erpresserbande bringt Silvio Berlusconis Buchhalter Giuseppe Spinelli in ihre Gewalt. Als die Ehefrau dem 71-Jährigen die Wohnungstür öffnen will, drängen sich Bewaffnete durch die Tür.

Die vermummten Männer verprügeln Spinelli und zwingen ihn, den Expremier anzurufen, um ihm einen "Deal" vorzuschlagen: Gegen Zahlung von 35 Millionen Euro bietet die aus vorbestraften Italienern und Albanern bestehende Bande "brisante Unterlagen" über Berlusconis Imtimfeinde Carlo De Benedetti (vormals Herausgeber der Tageszeitung La Repubblica) und Gianfranco Fini an. Die Erpresser behaupten, im Besitz eines Videos zu sein, auf dem Parlamentspräsident Fini einige Richter auffordert, Berlusconi in Schwierigkeiten zu bringen.

Nach Spinellis Anruf verständigt Berlusconi jedoch nicht die Polizei, sondern seinen Anwalt Niccoló Ghedini. Dass die Staatsanwaltschaft erst nach 37 Stunden informiert wird, rechtfertigt Ghedini mit der " Verwirrung" Spinellis, der um sein Leben gebangt habe. Berlusconi, so sein Anwalt, habe mit der Angelegenheit "rein gar nichts zu tun".

Der Entführungsfall hatte sich bereits am 15. Oktober ereignet, wurde aber erst bekannt, als die Polizei die Täter zu Wochenbeginn verhaftete. Es war ausgerechnet die von Berlusconi bekämpfte Staatsanwältin im "Ruby" -Prozess, Ilda Bocassini, der die Täter ins Netz gingen.

Die Ermittler vermuten, dass Berlusconi ein Lösegeld von acht Millionen gezahlt hat - was der Cavaliere aber energisch bestreitet. Nebulös bleibt, warum die Erpresserbande Spinellis Wohnung nach einem Tag ohne konkrete Gegenleistung verließ und sich später telefonisch bei ihm meldete, um sich nach dem Ausgang der Verhandlungen mit dem Expremier zu erkundigen. Auch der Umstand, dass Spinelli von Berlusconis Eskorte aus " Sicherheitsgründen" an einen unbekannten Ort in Sicherheit gebracht wurde, löste bei der Staatsanwaltschaft Irritation aus.

"Bunga-Bunga"-Buchhalter

Die am Mittwoch begonnen habenden Verhöre könnten jetzt Licht ins Dunkel bringen. Einer von zwei albanischen Brüdern, die bereits 13 Jahre Haft wegen eines Entführungsversuchs abgebüßt haben, will mit den Ermittlern zusammenarbeiten. Einer der Kriminellen hatte sich in der Hoffnung auf ein fettes Lösegeld bereits einen Ferrari bestellt.

Der als "Bunga-Bunga"-Buchhalter bekannte Spinelli steht seit Jahrzehnten in Berlusconis Diensten, dabei verkörpert er das exakte Gegenteil seines Dienstgebers: diskret, fromm, öffentlichkeitsscheu, bescheiden - und absolut zuverlässig.

Als Spinelli letzthin im "Ruby"-Prozess als Zeuge erscheinen musste, stammelte er sichtlich gequält wenige Worte in die zahlreichen Mikrofone der Journalisten. Die Showgirls, die in Berlusconis Villa verkehrten, nannten den alten Herrn, der ihre Wohnungen, Autos und Geschenke bezahlte, liebevoll "Spino". Rund zwei Dutzend junge Frauen erhalten von Berlusconi noch immer 2500 Euro monatlich, weil "ihre Existenz durch verleumderische Presseberichte ruiniert" worden sei. Nach Schätzungen von Berlusconis Hausblatt Il Giornale soll Spinelli für das Privatvergnügen des Cavaliere insgesamt 250 Millionen Euro ausgegeben haben.

Am jüngsten Kriminalfall ist vor allem ein Detail verblüffend: Der verhaftete Bandenchef Francesco Leone gehört zum Mafiaclan der Parisi aus Bari. Der Sohn des Bandenbosses war lange mit Barbara Monteleone liiert - einem der Showgirls aus Berlusconis Harem. (Gerhard Mumelter aus Rom/DER STANDARD, 22.11.2012)