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Der Distelfalter ist dort zu finden, wo Disteln wachsen. Ist das Nahrungsangebot groß, tritt die Spezies zu Millionen auf: zuletzt geschehen 2009, als allein 200 Millionen dieser Schmetterlinge durch Österreich zogen. Warum sie wandern, gibt Forschern noch Rätsel auf.

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Für die meisten Leute sind Schmetterlinge ein Sinnbild für Schönheit und Anmut, aber auch für Vergänglichkeit: Sie gaukeln ein paar Wochen lang über die Wiesen, pflanzen sich fort und sterben dann, sollte man meinen.

Die Wirklichkeit sieht anders aus: Viele Arten wandern hunderte oder sogar tausende Kilometer, um ungünstigen Lebensbedingungen zu entkommen. Das wohl bekannteste Beispiel ist der amerikanische Monarchfalter, der jedes Jahr vom südlichen Kanada nach Mexiko zieht, wo er den Winter verbringt. Er ist jedoch bei weitem nicht der Einzige. Vor allem aus den Tropen kennt man zahlreiche wandernde Schmetterlingsarten, und ein ausgesprochener Langstreckenzieher kommt auch bei uns vor: der Distelfalter.

Auf der ganzen Welt zu Hause

Der überwiegend schwarz-orange gefärbte Schmetterling kommt fast überall auf der Welt vor. In Europa findet man ihn praktisch überall, wo auch Disteln wachsen. Diese dienen sowohl den Raupen als auch den erwachsenen Tieren als Futterpflanzen. Daneben ernähren sich die Raupen jedoch auch von einer Vielzahl anderer Gewächse wie etwa Brennnesseln, Malven oder Huflattich. Nördlich der Alpen sind die Winter jedoch zu kalt für die Falter - je nach Witterung wandern sie hier jedes Jahr erst im Frühjahr bzw. Sommer ein.

Fallweise, wenn es in Afrika zur richtigen Zeit ausreichend regnet, um die für die Distelfalter wichtigen Pflanzen zu üppigem Wachstum anzuregen, kommt es zu Massenvermehrungen der Schmetterlinge. Diese fallen dann zu Millionen in Europa ein, allerdings ohne die verheerende Wirkung mancher anderer Wanderinsekten: Weder die Raupen noch die Erwachsenen richten nennenswerte Schäden an Kulturpflanzen an.

2009 war ein solches Jahr, in dem Millionen von Distelfaltern unterwegs waren: So wurden etwa an der süddeutschen Forschungsstation Randecker Maar im Mai auf einem 400 Meter breiten Streifen Ackerland bis zu 450 ziehende Distelfalter pro Minute gezählt. Geschätzte 200 Millionen Exemplare zogen durch Österreich. Elf Millionen erreichten Großbritannien. Im Unterschied zum Vogelzug, der seit langem intensiv beforscht wird, weiß man über Insektenwanderungen nicht allzu viel. Schmetterlingsspezialist Constantí Stefanescu vom Naturkundemuseum im katalonischen Granollers initiierte eine großangelegte Zusammenarbeit zwischen internationalen Forschern und engagierten Laien, um mehr über die Wanderung der Distelfalter zu erfahren.

Das Massenauftreten 2009 lieferte dafür die optimalen Bedingungen. Insgesamt 60.000 Beobachtungen aus 67 Ländern flossen in die Studie ein, knapp 1500 davon stammten von 95 Freiwilligen aus Österreich. Ergänzt wurden diese Daten durch Radarbeobachtungen aus England und Finnland. Die Radargeräte, die dabei zum Einsatz kommen, sind so fein, dass sie individuelle Insekten in einer Höhe von bis zu 1,2 Kilometern erfassen können.

Der Zug als Staffellauf

Die Auswertung all dieser Daten brachte Erstaunliches zutage, allem voran die Distanz, über die sich die Wanderung der Distelfalter erstreckt: In einer Saison bewältigen sie bis zu 15.000 Kilometer - von (Nord)West-Afrika bis Finnland. "Es ist aber nicht so, dass der einzelne Schmetterling diese Strecke zurücklegt", wie Helmut Höttinger von der Österreichischen Gesellschaft für Entomofaunistik erklärt.

Vielmehr erfolgt der Zug in einer Art Staffellauf: Wenn die Falter ein Gebiet mit passenden Umweltbedingungen erreicht haben, pflanzen sie sich fort. Die daraus entstehenden Tiere ziehen auf der Suche nach Futterpflanzen für die Raupen weiter nach Norden, wo sie ihrerseits Nachwuchs erzeugen. Noch bevor es richtig unwirtlich wird, ziehen die neuen Falter dann wieder nach Süden. Auf diese Weise wirken bis zu sechs Generationen an der Wanderung mit.

Nichtsdestoweniger sind auch die Einzelleistungen der nur vier bis sechs Zentimeter großen Insekten nicht zu verachten: "Einzelne Tiere fliegen sicher hunderte oder sogar tausende Kilometer", meint Höttinger. Mit 15. 000 Kilometer Gesamtstrecke ist der Distelfalter eines der am weitesten wandernden Insekten der Welt - der schon erwähnte Monarchfalter zieht nur halb so weit.

Rückflug in großer Höhe

Das ist jedoch nicht die einzige Neuigkeit, die die internationale Zusammenarbeit erbracht hat: Bis zu der Studie, die in der Zeitschrift Ecography veröffentlich wurde, war ungeklärt, ob die Schmetterlinge Nordeuropa im Herbst überhaupt verlassen und einfach den Winter nicht überleben. Nun hat sich herausgestellt, dass sie die Zugroute auch wieder zurückfliegen - allerdings meist in so großer Höhe, dass sie von Beobachtern am Boden nicht wahrgenommen werden. Dafür machen sie sich nach Süden gerichtete Winde zunutze und reisen in bis zu 1000 Metern Höhe und mit Geschwindigkeiten von bis zu 50 Kilometer pro Stunde.

Der Zugzyklus dürfte massiv von der Fähigkeit abhängen, entsprechende Winde zu nutzen. 2009 war diesbezüglich allerdings kein allzu gutes Jahr: Laut englischer Radardaten erwischten nur 55 Prozent der Falter im Herbst tatsächlich nach Süden gerichtete Winde. In Finnland hatten sie diese Probleme allerdings nicht, und wie Untersuchungen der Wetterverhältnisse ergaben, wehte der Wind zu dieser Zeit in England hauptsächlich aus Südwesten. Offenbar hatten viele Schmetterlinge einfach keine andere Möglichkeit, als diesen Luftströmungen zu folgen. Wie sie diese ausfindig machen, weiß man nicht.

Auslöser ungeklärt

Ebenfalls weitgehend ungeklärt ist, was genau der Auslöser für die Wanderung ist, wobei Temperatur und Tageslänge am ehesten in Betracht kommen. "Der Distelfalter ist zwar ein Steppenbewohner, meidet aber trotzdem allzu große Hitze und Trockenheit", sagt Höttinger, "vor allem verdorren unter diesen Bedingungen auch die Futterpflanzen für die Raupen und die Erwachsenen." Möglicherweise folgen sie also ganz einfach dem Nahrungsangebot. (Susanne Strnadl, DER STANDARD, 21.11.2012)