Konfliktzone Park: Aggressives Verhalten und allerlei Vorurteile sind hier keine Seltenheit.

Foto: Heribert CORN

Wien Leopoldstadt: Neben Riesenrad, Prater und Co. befindet sich hier auch das Zentrum des jüdischen Lebens in Wien. Spaziert man durch die Straßen des Zweiten Wiener Gemeindebezirks, bleibt dies nicht verborgen - vor allem die jüdisch-orthodoxe Community ist durch ihr auffälliges Äußeres stets ein Blickfang.

Doch nicht jeder scheint damit eine Freude zu haben. "Denen gehört der ganze zweite Bezirk" - eine Aussage, die Silvia oft zu hören bekommt. Die 31-Jährige war einige Jahre lang in der offenen Kinder- und Jugendarbeit des interkulturellen Kinder-, Jugend- und Familienzentrums "friends" der Kinderfreunde Leopoldstadt tätig und kennt die Vorurteile der Jungen nur zu gut. "Das Stereotyp der, 'reichen Juden' ist leider noch immer präsent. Diesen latenten Verschwörungstheorien begegne ich immer wieder", sagt sie. "Dabei wohnen einige von ihnen im Gemeindebau, die Familien sind kinderreich, da bleibt nicht viel Geld übrig." Dass sie einen Einblick in die Welt einiger jüdisch-orthodoxer Familien bekommen hat, sieht Silvia als Privileg: "Es ist ein langer Prozess, der Gespräche und Austausch erfordert."

Konfliktzone Park: "Nichts ist happy peppy"

Die studierte Kultur- und Sozialanthropologin weiß aber auch, dass sich nicht alle diese Zeit nehmen: "Der latente Antisemitismus ist da, es werden unreflektiert Dinge nachgesagt, auch von Kindern und Jugendlichen. Diese Unwissenheit führt zu Klischees und Mythen."

Mit diesen ist auch Parkbetreuerin Magdalena oft konfrontiert. Die 23-Jährige arbeitet ebenfalls im zweiten Bezirk und begegnet in der Konfliktzone Park vor allem älteren Jugendlichen. "Ich habe schon die wildesten Geschichten gehört: von Jugendlichen, die meinen, dass im Park nur 'TürkInnen' sind, die stehlen, bis hin zu Aussagen, dass 'alle Juden und Jüdinnen Nazis' wären. Die Absurdität der Vorurteile kennt keine Grenzen." Solche Sprüche seien das Resultat von Unwissen, meint die 23-Jährige - aber sie können nicht ignoriert werden: "Es ist meiner Meinung nach Unsinn, so zu tun, als gäbe es keine Vorurteile: Sie leben und blühen natürlich." Vor allem in schwierigen sozialen Verhältnissen: "Viele Kinder und Jugendliche haben mit Problematiken wie Drogenkonsum, Gewalt, Arbeitslosigkeit und ständiger finanzieller Unsicherheit innerhalb der eigenen Familien zu kämpfen", erzählt Magdalena. Die Abwertung der 'Anderen' sei ein Schutzmechanismus, denn gerade die Zeit der Pubertät sei geprägt von einer Identitätskrise. Aggressives Verhalten und allerlei Vorurteile sind daher in Magdalenas Arbeit keine Seltenheit: "Dass sich im Park alle lieb haben und alles immer, 'happy peppy' ist, stimmt nicht. Die wichtige Frage ist aber, wie man damit umgeht."

"Geschichtskeule" ist sinnlos

Wie aber kann antisemitischen und rassistischen Äußerungen unter Jugendlichen begegnet werden? Die "Geschichtskeule" bringe in diesem Fall gar nichts, wissen die Expertinnen. Vielmehr sollten sie Gemeinsamkeiten finden, wie Silvia aus ihrer Arbeit berichtet: "Ich versuche immer, Kommunikation und Austausch untereinander herzustellen, dass sie etwa die Namen der anderen lernen und sich beim Basteln gegenseitig unterstützen."

Doch in der Praxis ist das oft nicht so einfach, wie es klingt. Konkret kann sich Silvia an eine schwierige Situation erinnern: "Ein vierjähriger jüdischer Bub hat mit einem türkischen Gleichaltrigen um ein Spielzeug gestritten. Dann hat ersterer ihn gestoßen - und die türkische Cousine hat mit ihm geschimpft. Dann ist innerhalb von einer Minute eine hitzige Auseinandersetzung entstanden, alle haben sich eingemischt. Die Cousine fühlte sich in dieser Situation übervorteilt und sie hat dann im Affekt gesagt: 'Immer ihr Juden, weil ihr uns nicht mögt.'" Silvia griff ein und sagte: "Es geht hier um Gewalt, nicht um Religion." Sie warnt davor, "alles zu kulturalisieren". Laut Silvia können die Konflikte andere Hintergründe als religiöse haben: "Es sind Gruppenmechanismen - Zugehörigkeit und Abgrenzung - auf einer menschlichen Ebene, die zuallererst nichts mit Religion zu tun haben." Bereits das offene Hinterfragen von Vorurteilen bringe die meisten schon ins Stocken: "Wenn man fragt, warum das so ist, wissen die Kinder oft keine Antwort."

Diese Erfahrung machte auch Maria Ecker vom Verein "erinnern.at" - "Nationalsozialismus und Holocaust: Gedächtnis und Gegenwart". Das Vermittlungsprojekt des Unterrichtsministeriums für LehrerInnen veröffentlichte dieses Jahr die Broschüre "Ein Mensch ist ein Mensch" mit Lernmaterial zum Thema Rassismus und Antisemitismus unter Jugendlichen. Der Inhalt basiert auf Workshops, bei dem junge Menschen ihre Erfahrungen austauschten. Ecker weiß: "Es geht bei diesem Thema nicht primär um Religion, sondern um die soziale Schicht. Gerade Jugendliche aus der unteren sozialen Schicht - und hier sind viele mit Migrationshintergrund dabei - haben oft gefragt: Warum muss ich mich mit diesem Thema auseinandersetzen?" Das führe dann zu massiven Wissenslücken. Das Thema Antisemitismus sollte anders vermittelt werden: "Es geht um Ausgrenzung und Abwertung, die fast jeder der jungen Leute selbst erfahren hat. Wenn sie das begriffen haben, sehen sie, dass das Thema nicht so weit weg von ihnen ist."

Aufnahmegesellschaft mitverantwortlich

Der Schulunterricht in seiner jetzigen Form ist meist machtlos gegenüber heiklen Themen wie diesem. "Man kann rassistische Äußerungen nicht einfach wegwischen und als böse abtun - man muss sie sich anhören und nachfragen, was dazu führte", rät Ecker den LehrerInnen. Die "Moralisierungsschiene" sei der falsche Weg: "Wenn eine Lehrerin oder ein Lehrer beispielsweise Filme von NS-Überlebenden zeigt, erwarten sie von den Jugendlichen Betroffenheit. Doch sie müssen auch andere Reaktionen zulassen können."

Zu guter Letzt müsse auch die Aufnahmegesellschaft zur Verantwortung gezogen werden. "In einem Land wie Österreich aufzuwachsen, in dem ein Mehrklassenbildungssystem herrscht, dessen Fokus offensichtlich nicht auf der Chancengleichheit von Kindern liegt, die mehrsprachig aufwachsen, kann belastend sein und Fronten verhärten", meint Parkbetreuerin Magdalena. Auch Silvia kritisiert: "Wer die 'Tschuschen' benennt, muss sich nicht wundern, wenn sich diese von den 'Österreichern' abgrenzen." Sie erlebte etwa oft, wie Kinder nationalistische Symbole und Fahnen der Geburtsländer ihrer Eltern malten. Es gibt aber auch andere Identitätsanker: "Einige schreiben die Abkürzung 'VKM' - für den Volkertmarkt im 2. Bezirk - überall hin. Denn das ist ihr Grätzel." (Jelena Gučanin, 19.11.2012, daStandard.at)